Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Geschäftspartner wie
diesen Perlmann.«
»Und der feine Herr Richter, der Deterings Alibis liefert, ist ein
Kinderschänder aus der Kundenkartei und wird erpreßt.«
Christian schwieg kurz und starrte weiter auf die Straße.
»Auffallend, wie nah Mama und Papa Detering an der holländischen Grenze gewohnt
haben, bis Wilhelm starb. Da ist Eindhoven nicht weit.«
»Vielleicht waren ja schon die Eltern in der Kinderpornoszene
zugange«, meinte Anna, »nach all dem, was Carlos mir angedeutet hat … Ich
glaube Karl Detering auch nicht. Wenn die Eltern einen von den Zwillingen
mißbraucht haben, wieso nicht beide?«
»Vielleicht haben sie aufgehört, nachdem Wilhelm gestorben ist«,
spekulierte Eberhard, »und Karl erinnert sich jetzt nicht mehr.«
»Wäre möglich, ein Mensch kann Ungeheuerliches an Verdrängung
leisten. Karl Deterings psychogene Amnesie würde dafür sprechen«, nickte Anna.
»Mir sind das viel zu viele Vielleichts. Was ist mit der These von der
multiplen Persönlichkeit? Auch nur ein Vielleicht! Ach, das bringt uns alles
nicht weiter!« murrte Christian.
»Es gibt Puzzleteile, die zu der These passen, es könnte aber
genausogut sein, daß dieser Wilhelm tatsächlich noch lebt«, antwortete Anna.
»Ich habe doch gesagt, daß Detering mir bei der ersten Besprechung hier sehr
fremd vorkam. Das Aussehen stimmt zwar, der Charakter aber nicht. Das könnte
für MPS
sprechen. Multiple Persönlichkeiten wechseln nicht nur komplett ihr eigenes
Bewußtsein und den Charakter, manche schaffen das sogar mit ihrer Augenfarbe.
Plötzlich von braun nach blau!«
»Red keinen Scheiß«, entfuhr es Daniel ungläubig.
Eberhard verteilte die von ihm gefüllten Kaffeetassen. Schweigend
tranken sie, bis Christian wieder das Wort ergriff: »Daniel, du versuchst
weiter, eine Verbindung zwischen Detering und Kinderpornogeschäften
aufzufinden. Es muß etwas geben, wenn wir nicht
komplett falschliegen. Überprüf mit den betreffenden Kollegen noch mal genau
alle Städte, die auf seiner Reiseliste stehen. Gibt es nicht noch irgendwelche
Verdachtsmomente? Irgendwas, das in unsere Theorie paßt. Überprüf auch alles,
was nicht reinpaßt. Check seine Holland-Connections. Eberhard, du schnappst dir
Scout und Nicki. Die sollen alle ihre Kontakte heißlaufen lassen, wir müssen an
diesen Russenkiller rankommen. Und du, Volker, wühlst in der Vergangenheit von
Mama und Papa Detering, sowohl privat als auch geschäftlich, vielleicht liegt
da ja schon der Hund begraben. Noch ein Vielleicht … Ihr habt Zeit bis morgen früh
um acht. Dann will ich Ergebnisse sehen. Ich habe nämlich keine Lust, diesen
verlogenen Dreckskerl wieder laufenzulassen!« Christians Stimme peitschte im
Laufe seiner Rede immer lauter und ungeduldiger auf die Anwesenden ein, und
beim letzten Satz schlug er mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch.
Unbeeindruckt von Christians negativer Energie fragte Anna, ob die
Leiche des kleinen Wilhelm in Baal exhumiert werde, um Deterings Angaben zu
überprüfen.
Christian lachte bitter auf: »Was glaubst du, was der Herr
Oberstaatsanwalt mir erzählt, wenn ich ihm mit dieser Schwachsinnsstory komme
und ihn um Amtshilfe in Nordrhein-Westfalen bitte, um ein vor knapp dreißig
Jahren verstorbenes kleines Kind auszubuddeln? In einem katholischen Dorf?
Sobald es an den Geldbeutel oder auf den Friedhof geht, wird das gemeine Volk
sehr pietätvoll! Außerdem gibt es nicht den geringsten Grund, den Totenschein
anzuzweifeln.«
»Ja, aber …«, wollte Anna widersprechen.
Christian löste die Versammlung auf. Auch Anna erhob sich und wollte
mit den anderen hinausgehen, doch Christian hielt sie zurück. Er fragte sie
nach ihrem Gefühl bei der Sache. Unsicher gab Anna zu, daß sie sich komplett
überfordert fühlte. Das, was sie von Carlos wußte, ließ verschiedene Lesarten
zu. Aber wenn Christian sie nach ihrer Intuition fragte, so verspürte auch sie
bei Karl Detering ein unfaßliches Unbehagen, das sie erschaudern machte, sobald
sie ihm gegenübersaß. Carlos hatte in beiden Sitzungen heftige emotionale
Reaktionen bei ihr ausgelöst, aber sie fürchtete ihn nicht. Eher empfand sie
Mitleid und einen leisen Schwindel vor dem gähnenden Abgrund, aus dessen Tiefe
sein Blick sich ans Tageslicht kämpfte.
»Also, wenn du mich fragst … Ich glaube nicht an eine multiple
Persönlichkeit. Nagel mich aber bitte nicht darauf fest. Was ich gerade gesagt
habe, ist höchst unwissenschaftlich und entbehrt jeglicher Grundlage«,
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