Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Anna
Christian nach einer knappen Stunde Schweigen, als sie sich schon auf der
Autobahn Richtung Hamburg befanden.
»Das frage ich mich auch«, murmelte Christian. Er schien definitiv
nicht in Plauderstimmung zu sein.
Anna hielt vorsichtshalber den Mund. Sie war der festen Überzeugung,
daß Christian sie sofort auf der Autobahn aussetzen würde, wenn sie jetzt etwas
Falsches sagte. Doch das Schweigen lastete auf ihr, sie wollte, daß er sich mit
ihr unterhielt, ihr vielleicht sogar verzieh, und wenn das nicht möglich war,
dann sollte er sie wenigstens anschreien. Alles, nur nicht ignorieren.
Nach einer weiteren, ewig langen Stunde unternahm Anna einen neuen
Anlauf: »Wann hat Karen dir denn Bescheid gesagt?«
Christian schien inzwischen etwas zugänglicher, die monotone Fahrt
in der Dunkelheit und die Stille im Wagen hatten seine Wut ein wenig
besänftigt: »Sie hat mich sofort angerufen, nachdem Pete ihr diesen Vorschlag
gemacht hatte. Ich war gerade bei Waller und habe ihm mit erstunkenen und
erlogenen Geschichten die Exhumierung abgeschwatzt.«
»Was hast du ihm erzählt?«
»Daß die Deterings eventuell ihren Sohn umgebracht hätten und wir
die Todesursache überprüfen müßten. Schien mir plausibler als die komplizierte
Geschichte vom wiederauferstandenen Zwilling, der dreißig Jahre nach seinem
eigenen Tod kleine Kinder umbringt. Und es mußte schnell gehen.«
»Ich dachte, du bist gegen eine Exhumierung.«
»War ich nie. Ich will es wissen, verstehst du? Aber ich lasse mich
nicht verarschen! Ich treffe die Entscheidungen, sonst keiner. Es hat mich
genervt, daß du damit ankamst. Mein ganzes Team sitzt da, aber die halten die
Klappe, weil sie Mist gebaut haben. Und du quatschst mir rein. Genau wie Pete.«
Christians Redeschwall machte ihr Mut, ihm weiter auf den Wecker zu
fallen: »Was hast du mit Pete vor? Der kriegt als Polizist wahrscheinlich kein
Bein mehr auf den Boden, wenn du mit ihm fertig bist …«
Christian lachte: »Ich bin zwar ein Arschloch, aber … Nein, den
lasse ich ein bißchen schmoren, und morgen oder übermorgen kann er wieder zur
Truppe. Kommt drauf an, wie lange er braucht, um die angemessene Demut zu
entwickeln. Hauptsache, ich habe den Idioten wieder unter Kontrolle.«
Verwundert sagte Anna: »Ich dachte, du kannst ihn nicht ausstehen.
Das denkt er im übrigen auch.«
»Stimmt ja«, Christian machte eine kleine Pause. »Ich kann keinen Typen ausstehen, der mit dir geschlafen hat.«
Anna lächelte still.
»Machst du mir eine Zigarette an?« bat Christian und wechselte das
Thema. »Pete bekommt einen kleinen Denkzettel für seine Grabschändung, und dann
wird das Ganze unter den Teppich gekehrt. Wenn ich ihn für sein bescheuertes
Verhalten offiziell zur Verantwortung ziehe, fällt es auf mich, auf das Team,
auf unsere gesamte Arbeit zurück. Hast du schon mal was von Beweiserhebungs-
und Beweisverwertungsverbot gehört?«
Anna zündete eine Zigarette an und steckte sie Christian zwischen
die trockenen Lippen.
»Ich kann’s mir vorstellen. Ein Formfehler, und ihr könnt alles
wegschmeißen.«
»Genau.«
Anna betrachtete Christians Gesicht von der Seite. Er sah unendlich
müde aus, seine Falten schienen sich noch tiefer als sonst einzugraben, während
die Tränensäcke anschwollen. Zwei Minuten später war sie mit dem Kopf an seiner
Schulter eingeschlafen. Sie verpaßte einen rotglühenden Sonnenaufgang.
Mittwoch, 6. Juli
Anna schlief einen todesähnlichen Schlaf. Als sie wieder
erwachte, war es schon fast halb drei Uhr nachmittags. Mit leichten
Kopfschmerzen schleppte sie sich aus dem Bett unter die Dusche. Sie fragte
sich, wie lange Pete auf Christians Geheiß noch in einer Zelle würde schmoren
müssen und was Karen inzwischen wohl herausgefunden hatte. Das Wasser tat gut,
sie drehte so heiß auf, wie es nur ging, und atmete tief den Dampf in der
Duschkabine ein. Die Autofahrt der letzten Nacht steckte ihr noch in den
Knochen, wie ihr die letzten anderthalb Wochen insgesamt in den Knochen
steckten, seit Pete bei ihrem Vortrag aufgetaucht war und Detering kurz darauf
in ihrer Praxis und Christian in ihrem Leben und sie immer weniger schlief und
immer mehr grübelte und zweifelte und zwischen ihrer Stadtvilla und der
Einsatzzentrale und dem Polizeipräsidium und Aurich und Baal und Hamburg hin-
und herfuhr wie eine Verrückte auf der Flucht vor ihrem eigenen Schatten.
Anna blieb unter dem heißen Wasserstrahl stehen, bis ihre Muskulatur
sich auch in den
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