Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
daran befindlichen Reißverschluß. Lächelnd klappte er es auf und
zeigte es Anna: »Hübsch, nicht wahr?«
Anna sah das Chirurgenbesteck. Ihr blieb die Luft weg, sie begann zu
hyperventilieren, ihr wurde schwindlig, ihr wurde schlecht.
»Nein, bitte … bitte nicht …«
Joe nahm sorgsam ein Skalpell hervor, strich beinahe zärtlich mit
der anderen Hand Annas Haare zurück und legte das Skalpell mit der
Schneidefläche an Annas linkes Ohrläppchen.
»Hübsche Ohren. Wie aus Marzipan geformt. Ich mag Marzipan.«
»Bitte nicht … bittebitte …« Anna wimmerte so leise, daß es kaum zu
hören war.
Joes Hohnlächeln wandelte sich zu einem lüsternen Grinsen. Er sah
die Angst in Annas Augen, und sie gefiel ihm. Mit dem Skalpell öffnete er Annas
vor der Brust zusammengeknotetes Handtuch, es rutschte bis auf ihre Hüften
herab.
»Ja … Machen Sie mich los«, bat Anna, plötzlich eine widerlich
verzweifelte Hoffnung schöpfend, »ich schlafe mit Ihnen, ich tue alles, was Sie
wollen.«
Joe öffnete seine Hose und nahm seinen Schwanz hervor: »Ich faß dich
nicht an, du Schlampe.« Er stellte sich dicht vor Anna und begann zu
masturbieren.
Angewidert schloß Anna die Augen und drehte den Kopf zur Seite, so
weit sie konnte. Sie konzentrierte sich auf Beethoven. Wer hier wohl
dirigierte? Sie mochte am liebsten die Einspielung von Solti. Aber das hier,
das war nicht Solti. Karajan aber auch nicht. Sie tauchte hinab in die sich
variierende Wiederholung des Motivs, sie liebte diesen Satz in seiner
unendlichen Melancholie. Das Keuchen Joes hörte sie nicht mehr.
Sein Stöhnen, als er kam, konnte das leise Radio jedoch nicht
übertönen, und Anna spürte das Aufklatschen des warmen Spermas quer über ihrem
Gesicht. Sie zitterte vor Ekel, preßte Augen und Lippen zusammen und hielt den
Atem an, um Joes Geruch nicht in ihren Körper eindringen zu lassen. Ihre
Tränen, die sie nicht wahrnahm, vermischten sich mit seinem Sperma.
In der Schwärze ihrer geschlossenen Augen sah sie bunte Lichtblitze,
ihr Kreislauf sackte in den Keller, sie sehnte die Ohnmacht herbei. Doch
plötzlich hörte sie einen dumpfen Schlag und ein schweres Poltern, und dann war
die intime Hitze von Joes Unterleib verschwunden, die sie direkt vor ihrem
Gesicht bedrängt hatte wie eine Wand aus tropisch-modriger Luftfeuchtigkeit.
Voller Angst öffnete sie die Augen und drehte langsam den Kopf nach vorne.
Joe lag auf dem Boden vor ihr, die Hose halb heruntergezogen, sein
Schwanz schlaff und glänzend. Aus seinem offenen Schädel quoll Hirnmasse
heraus. Neben ihm stand Carlos, in der Hand den schweren Schürhaken von Annas
Kaminbesteck. Er blickte verwundert auf Joe.
»Er ist tot. Das wollte ich nicht«, flüsterte er.
»Carlos. Carlos, bitte, machen Sie mich los«, bat Anna eindringlich.
Carlos wandte seinen verschleierten Blick zu Anna, und sie begriff,
daß er im Moment nicht in der gleichen Welt weilte wie sie.
Carlos ließ den Schürhaken fallen.
»Der Mann hat dich schmutzig gemacht«, sagte er mit kindlicher
Stimme, »aber du mußt nicht weinen. Gleich kommt Mama und macht dich wieder
sauber. Und dann beten wir für die Reinheit deiner Seele.«
»Willi?« Anna versuchte, Carlos in seiner Welt zu erreichen. Ganz
offensichtlich befand er sich in seiner eigenen Kindheit, in seiner eigenen
Mißbrauchserfahrung, ausgelöst durch Joes Masturbation auf Anna.
Carlos sah sich suchend um: »Mein Teddy ist nicht hier. Wo ist mein
Teddy?«
»Du bist doch Willi«, meinte Anna mit sanfter Stimme, »und Willi
bindet mich jetzt los.«
Carlos schüttelte den Kopf: »Willi ist mein Teddy. Aber der ist
nicht hier.« Er knotete Anna das Handtuch vor der Brust wieder zusammen. »So,
jetzt bist du wieder schön.«
»Wo ist denn Mama? Vielleicht kann Mama mich losbinden. Und dann
beten wir zusammen.«
Carlos’ Miene verdüsterte sich: »Mama kann nicht kommen. Sie ist mit
Papa im Höllenfeuer verbrannt.«
Anna zog heftig, aber möglichst unauffällig an ihren Fesseln. Doch
das Klebeband gab keinen Millimeter nach. Sie mußte weiter mit Carlos
kommunizieren, das Kind in ihm erreichen, den Teil, der nicht zum Mörder
geworden war. Wenn das Kind verschwand und der Mörder wieder auftauchte, würde
sie die Situation nicht mehr beeinflussen können. Dennoch fühlte sie sich in
Carlos’ Anwesenheit seltsam sicher, wie jedes Mal, wenn sie mit ihm gesprochen
hatte.
»Gott hat sie bestraft«, fuhr Carlos fort. Dann lachte er.
»Warum lachst du?«
Anna wollte
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