Der Bestseller
routinemäßig gefragt worden, aber wo waren Sie eigentlich am Dienstagabend?«
»Ich war hier, im Verlag, und habe mein Zeug in Kartons gepackt, damit ich es in meine Wohnung bringen lassen konnte. Danach habe ich zu Abend gegessen. Zu Hause. Allein. Warum?«
»Haben Sie Parker gesehen, als Sie hier waren?«
»Nein. Ich habe jemanden kommen hören und dachte, es könnte Foxcroft sein, und darum bin ich ihm aus dem Weg gegangen.«
»Ich verstehe.«
Crispin stand auf. »Wenn weiter nichts ist, gehe ich jetzt wieder an die Arbeit.«
Meine nächste Besucherin war Mary Sunday. Die richtige Beschreibung für meine Vertriebsleiterin ist »winzig« — oder vielleicht besser »dynamisch«. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt und trug nicht das fröhliche Gesicht zur Schau, das sie der Welt sonst immer zeigt — oder jedenfalls dem Teil der Welt, der mit Büchern von Barlow & Company zu tun hat.
»Schlechte Nachrichten, Nick«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Was?«
»Das liegt doch auf der Hand, Mary.«
»Ich wußte noch gar nicht, daß Sie Gedanken lesen können. Jedenfalls« — sie ging zum Sofa und setzte sich — , »jedenfalls gibt es Probleme mit Jerry Hart.«
Jerry war nicht nur einer unserer besten Vertreter, sondern auch einer der loyalsten. Er hatte sein Büro in Miami und bereiste seit zwanzig Jahren den Süden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es mit ihm Schwierigkeiten geben könnte, jedenfalls nicht in diesem Jahrtausend.
»Seine Frau«, sagte Mary. »Sie hat Krebs.«
»Oh, Gott, wie schrecklich.« Ellen gehörte ebensosehr zur Firma wie Jerry. Sie waren seit mindestens vierzig Jahren verheiratet.
»Jerry will nicht mehr reisen«, fuhr Mary fort. »Er will nachts zu Hause sein. Ich glaube, wir werden ihn in den Vorruhestand versetzen müssen.«
»Verdammt, Mary — er hat schon zu Zeiten meines Vaters für den Verlag gearbeitet. Er ist wahrscheinlich einer der wenigen hier, die sich noch an meinen Vater erinnern.«
»Ich weiß, aber was soll ich machen? In New York oder Connecticut habe ich nichts frei. In New Jersey auch nicht.«
»Aber wir müssen doch irgend etwas für ihn tun«, sagte ich. »Ist er in New York?«
»Ja, er will mit Ellen ins Krankenhaus gehen, zur Chemotherapie.«
»Sagen Sie ihm, er möchte doch bitte heute nachmittag zu mir kommen.«
»Was wollen Sie tun, Nick?«
»Ich weiß nicht, Mary. Mir wird schon was einfallen. Ach, Gott, nach so vielen Jahren... Keinen Jerry mehr? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
»Ich werde ihn anrufen. Aber ich fange schon mal an, jemanden zu suchen, der seine Region übernehmen kann, okay?«
»Tun Sie das, Mary.«
Während ich dasaß und darüber nachdachte, was ich für Jerry Hart tun konnte, erinnerte Hannah mich daran, daß es auf elf zuging und ich mich lieber auf den Weg nach Norden machen sollte. »Erinnern Sie mich an die Kirche«, hatte ich ihr gesagt, »erinnern Sie mich an die Kirche und sorgen Sie dafür, daß ich rechtzeitig dort bin.«
Die meisten nennen die Kirche zur Verklärung Christi »die kleine Kirche um die Ecke«. Hinter diesem Namen steckt eine Geschichte, die Besucher der Kirche von jedem, der sie kennt, zu hören bekommen. Die Kirche wurde 1848 erbaut, aber nie vollendet. Man errichtete nur einen Flügel des Transepts, des Querschiffs, das das Hauptschiff unmittelbar vor der Apsis kreuzt, so daß der kreuzförmige Grundriß entsteht, den seit dem Mittelalter die meisten christlichen Kirchen aufweisen. Die Väter der Kirche zur Verklärung Christi bauten ein wunderschönes Gotteshaus, doch bevor sie das Kreuz vollenden konnten, ging ihnen das Geld aus, und schließlich mußten sie den Teil des Grundstücks verkaufen, auf dem die zweite Hälfte des Transepts hätte stehen sollen.
Also, die Geschichte: Im viktorianischen New York war diese Kirche nicht sehr angesehen. Die feinen Damen und Herren gingen lieber in eine andere, sehr viel größere Kirche an der Ecke Madison Avenue und 30. Straße. Zu dieser Kirche — die längst abgerissen ist — kam eines Tages der große Schauspieler und Theaterdirektor Joseph Jefferson. Ein bedeutender Schauspieler seines Ensembles war gestorben, und Jefferson wollte mit dem Pfarrer der großen Kirche über einen Trauergottesdienst sprechen. »Lieber Himmel, nein«, sagte der Pfarrer indigniert, »wir können keinen Gottesdienst für einen Schauspieler abhalten. Versuchen Sie es doch bei der kleinen Kirche um die Ecke. Ich bin sicher, dort wird man Ihnen helfen
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