Der Bestseller
bin Privatdetektiv.« Ich zog meine Brieftasche hervor und zeigte ihm eine Karte, die entfernte Ähnlichkeit mit einem Ausweis hatte, in Wirklichkeit aber ein vom Staat Connecticut ausgestellter Führerschein war. »Mein Klient hat mich beauftragt, diese Frau ausfindig zu machen, und das ist verdammt schwer, wenn ich ihren Namen nicht weiß. Und der wäre mir was wert...« Ich zog einen Zwanzig-Dollar-Schein hervor und winkte damit. Er starrte mich bloß an und sah aus wie die Hollywood-Version eines SA-Manns.
Ich zeigte ihm noch einen Zwanziger. Keine Reaktion.
Beim dritten heiterte seine Miene sich auf — wenigstens gestattete er sich ein dünnes Lächeln — , und beim vierten grinste er breit, steckte meine achtzig Dollar ein und sagte: »Sie heißt Judith Michaelson, Meister. Mrs. Judith Michaelson.«
»Danke.«
»Apartment 3D.«
»Herzlichen Dank.«
»Gern geschehen«, sagte Victor. Ich konnte mir denken, warum. »Aber sagen Sie der Dame nicht, daß Sie’s von mir haben.« Eine leise Drohung schwang in seinen Worten mit.
An der Ecke Madison Avenue und 88. Straße sah ich mich nach dem Taxi um, das mir gefolgt war. Es war nur eines in Sicht, und das war gegenüber geparkt. Ich beschloß, es mir genauer anzusehen, ging hinüber und warf einen Blick durch das hintere Fenster. Der Rücksitz war leer, doch der Motor lief, und das Dachsignal leuchtete nicht. Ich beugte mich hinunter zum Fahrerfenster.
»Sind Sie frei?«
»Nein.« Der Fahrer, ein kleiner, stämmiger Mann in einem kurzärmligen Hemd und einer Kippa auf dem Hinterkopf, zeigte auf seinen eingeschalteten Taxameter.
Ich ging ein paar Schritte weiter und fragte mich, ob es einen Sinn hatte, auf den Fahrgast zu warten, beschloß aber, das nicht zu tun. Wie sollte ich denn auch wissen, ob dieses Taxi mir gefolgt war? Taxis sehen alle gleich aus.
Immerhin wußte ich jetzt einen Namen. Genug geschnüffelt für heute. Was stand als nächstes auf dem Programm?
Als nächstes stand Jerry Hart auf dem Programm, der Vertreter mit dem Problem. Als ich wieder im Verlag war, fragte ich Hannah, ob Jerry gekommen sei, und sie sagte, er sei irgendwo im Haus und sie werde ihn auftreiben.
Sie fand ihn in Rekordzeit, und als sie ihn in mein Büro führte, strahlte sie, und er lachte leise in sich hinein — vermutlich hatte er ihr einen seiner berühmten Witze erzählt. Wahrscheinlich den von dem Vertreter und der Sekretärin.
»Jerry«, sagte ich und schüttelte ihm die Hand, »es tut mir furchtbar leid, was ich da über Ellen gehört habe. Was für ein verdammtes Pech!«
Er wedelte mit der Hand wie ein Zauberer, und wie durch einen Zauber verschwand auch sein Lächeln. Jerry war klein, hatte ein Bäuchlein und spärliches Haar und war nicht gerade das, was man sich unter einer Verkaufskanone vorstellt, aber auch kein Willy Loman. Er war ein verdammt guter Vertreter, einer von denen, die, wenn eine Buchhandlung in ihrem Bezirk ausgebrannt ist, am nächsten Tag hingehen, beim Aufräumen helfen und dafür sorgen, daß das Sortiment wieder aufgefüllt wird, und zwar nicht nur mit unseren Büchern, sondern auch mit denen anderer Verlage. Zur Weihnachtszeit arbeitete er immer als unbezahlte Hilfskraft m einer der Buchhandlungen, die er bereiste.
Zugleich gehörte er nicht zu unseren literarisch orientierten Vertretern. Wenn man ihn fragte, was für ein Buch das hier sei, sagte er: »Ein Buch für zwanzig Dollar.« Jerry war ehrlich: Er tat gegenüber Buchhändlern nie so, als hätte er ein Buch gelesen, wenn das nicht stimmte.
»Jerry«, fragte ich ihn einmal, »lesen Sie eigentlich überhaupt irgend etwas ?«
Er dachte lange nach. »Ich lese alles, was Sie mir geben, Nick. Die Vorschau, den Katalog, die Rezensionen, die Informationen über die Autoren. Ich sage den Buchhändlern alles, was sie wissen müssen, außer das Unwichtigste: was ich persönlich von diesem Buch halte. Wenn ich es gelesen hätte und es schlecht fände, müßte ich es ihnen sagen. Und wenn ich es großartig fände, dann wäre meine Meinung nicht professionell, sondern bloß die Meinung eines Privatmannes.«
Dann sah er mich an und sagte mit seinem Koboldgrinsen: »Aber ich mache nicht sehr viele Fehler, oder, Nick?«
Er hatte recht. Irgendwie besaß er eine unheimliche Fähigkeit, genau die richtige Menge Bücher — oder fast genau die richtige Menge — in den richtigen Buchhandlungen unterzubringen. Seine Remittendenquote war kleiner als die irgendeines anderen Vertreters, und mit
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