Der Besuch
mit ihm los.“
Mrs. Jehoram lachte hysterisch.
Der Vikar stand auf und blieb mit starrem Blick wie gelähmt stehen. „Oh! Ich habe ihm die Dienstboten nicht erklärt!“ sagte der Vikar in einer flüchtigen Anwandlung von schlechtem Gewissen bei sich. „Ich dachte, er weiß, was Dienstboten sind.“
„Wirklich, Mr. Hillyer!“ sagte Lady Hammergallow, die sich offensichtlich in ungeheurer Selbstbeherrschung übte und, während sie sprach, immer wieder krampfhaft nach Luft schnappte. „Wirklich, Mr. Hillyer! Ihr Künstler benimmt sich zu entsetzlich. Ich muß, ich muß Sie wirklich bitten, ihn nach Hause zu bringen.“
Deshalb tauchte der Vikar plötzlich während des Gespräches zwischen beunruhigtem Dienstmädchen und wohlmeinendem (aber haarsträubend unmöglichem) Engel auf dem Gang auf; sein traubenförmiges, kleines Gesicht war karmesinrot, in seinen Augen lag finstere Verzweiflung, und sein Krawattenknopf saß unter dem linken Ohr.
„Kommen Sie“, sagte er – und kämpfte mit einer Gefühlsaufwallung. „Kommen Sie, gehen wir ... Ich ... ich bin für immer in Ungnade gefallen.“ Und der Engel starrte ihn eine Sekunde lang an und gehorchte demütig und fühlte, daß er von unbekannten, aber offenbar schrecklichen Mächten umgeben war.
Bei der informellen Protestversammlung, die dann folgte, nahm Lady Hammergallow auf dem (informellen) Stuhl Platz. „Ich fühle mich gedemütigt“, sagte sie. „Der Vikar versicherte mir, er sei ein vorzüglicher Musiker. Ich hätte mir nie träumen lassen ...“
„Er war betrunken“, sagte Mr. Rathbone Slater. „Man konnte es schon daran sehen, wie er mit seiner Teetasse kämpfte.“
„Solch ein Fiasko!“ sagte Mrs. Mergle.
„Der Vikar versicherte mir“, sagte Lady Hammergallow. „,Der Mann, der sich bei mir aufhält, ist ein musikalisches Genie’, sagte er. Das waren genau seine Worte.“
„Die Ohren müssen ihm brummen, bei solcher Nachrede“, sagte Tommy Rathbone Slater.
„Ich versuchte, ihn zu beruhigen“, sagte Mrs.
Jehoram, „indem ich auf ihn einging. Und wenn Sie wüßten, was er dort zu mir gesagt hat!“
„Das Stück, das er spielte“, sagte Mr. Wilmerdings, „– ich muß gestehen, ich wollte es ihm nicht ins Gesicht sagen. Aber jetzt ganz offen!
Es plätscherte einfach nur dahin.“
„Nur ein Herumblödeln auf einer Geige, was?“ sagte George Harringay. „Ich dachte, es gehe über meinen Horizont. So vieles von eurer erlesenen Musik ist ...“
„Oh, George!“ sagte die jüngere Miss Pirbright.
„Der Vikar hatte auch einen kleinen Schwips
– seiner Krawatte nach zu urteilen“, sagte Mr.
Rathbone Slater. „Es ist eine verdammt komische Geschichte. Haben Sie bemerkt, wie er dem Künstler nachhastete?“
„Man muß so überaus vorsichtig sein“, sagte die allerälteste Miss Papaver.
„Er erzählte mir, er sei in das Hausmädchen des Vikars verliebt!“ sagte Mrs. Jehoram. „Ich hätte ihm beinahe ins Gesicht gelacht.“
„Der Vikar hätte ihn nie hierherbringen dürfen“, sagte Mrs. Rathbone Slater mit Entschiedenheit.
38
So endete das erste und letzte Auftreten des Engels in der Gesellschaft recht unrühmlich.
Vikar und Engel kehrten in das Pfarrhaus zurück; zwei niedergeschlagene, finstere Gestalten, die im hellen Sonnenschein mutlos dahingingen. Den Engel schmerzte es, daß es den Vikar schmerzte. Der Vikar, verstört und verzweifelt, mischte immer wieder Ausbrüche von Schuldgefühlen und Befürchtungen mit unzusammenhängenden Erläuterungen der Etikette. „Die Leute verstehen nicht“, sagte der Vikar wieder und wieder. „Sie werden alle so gekränkt sein. Ich weiß nicht, was ich zu ihnen sagen soll. Es ist alles so kompliziert, so verwirrend.“ Und beim Tor des Pfarrhauses, genau an der Stelle, an der Delia zum ersten Mal so lieblich ausgesehen hatte, stand Horrocks, der Dorfpolizist, und erwartete sie. Er hatte kurze Stücke von Stacheldraht um seine Hand gewickelt.
„Guten Abend, Horrocks“, sagte der Vikar, als der Polizist das Tor für sie öffnete.
„Guten Abend, Sir“, sagte Horrocks und fügt geheimnisvoll flüsternd hinzu: „Könnte ich Sie kurz sprechen, Sir?“
„Sicher“, sagte der Vikar. Der Engel ging nachdenklich weiter in das Haus, und als er Delia in der Diele traf, hielt er sie an und unterwarf sie einem ausführlichen Kreuzverhör über die Unterschiede zwischen Dienstmädchen und Damen.
„Sie entschuldigen, daß ich mir die Freiheit nehme, Sir“, sagte
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