Der Besucher - Roman
Einbauküche ziehen – lieber als in unserem alten Kuhstall zu leben.« Sie bückte sich, um einen Ast aufzuheben, den der Wind heruntergeweht hatte, und kehrte damit über den Boden. »Was ist überhaupt eine Einbauküche?«
»Da gibt es keine Lücken zwischen den Möbeln«, erwiderte ich, »und keine hervorstehenden Ecken und Kanten.«
»Aber sie haben bestimmt auch keinen Charakter, möchte ich wetten. Was ist so falsch an Ecken und Kanten? Wer möchte schon ganz ohne Ecken und Kanten leben?«
»Na ja«, erwiderte ich und dachte an einige der heruntergekommenen Häuser, die ich auf meiner Runde besuchte. »Man kann auch zu viele haben.« Und dann fügte ich hinzu: »Meine Mutter wäre über ein solches Haus wahrscheinlich froh gewesen. Wäre ich ein anderer Junge gewesen, würde sie heute vielleicht in so einem Haus leben, zusammen mit meinem Vater.«
Caroline blickte mich an. »Wie meinen Sie das?«
Und ich erzählte ihr kurz, wie sich meine Eltern hatten anstrengen müssen, um die Kosten für meine Ausbildung auf dem Leamington College und das Medizinstudium aufzubringen, die trotz der Stipendien immer noch beträchtlich gewesen waren. Sie hatten Schulden aufnehmen und jeden Penny umdrehen müssen, mein Vater hatte Überstunden gemacht, und meine Mutter brachte Näharbeiten und Wäsche mit nach Hause, als sie kaum mehr stark genug war, die nasse Kleidung vom Waschkessel in den Eimer zu heben. »Sie haben alles, was sie besaßen, in meine Ausbildung als Arzt gesteckt«, sagte ich, »und ich habe nicht einmal bemerkt, dass meine Mutter krank war. Sie haben ein kleines Vermögen in meine Schulausbildung gesteckt, und ich habe bloß gelernt, dass ich einen falschen Akzent hatte, dass meine Kleidung und meine Tischmanieren nicht stimmten, dass einfach alles falsch war. Ich habe sogar gelernt, mich für sie zu schämen. Nie habe ich Freunde mit nach Hause gebracht. Einmal sind sie mit zu einer Schulfeier gekommen; ich bekam einen Preis für meine Leistungen in Naturwissenschaften. Der Gesichtsausdruck einiger Jungen sprach Bände. Ich habe sie nicht noch einmal eingeladen. Einmal, als ich siebzehn war, habe ich meinen Vater vor einem seiner Kunden als Idioten bezeichnet …«
Ich verstummte. Sie wartete einen Augenblick, dann sagte sie so leise, wie es der stürmische Tag erlaubte: »Aber Ihre Eltern müssen sehr stolz auf Sie gewesen sein!«
Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber Stolz macht noch lange nicht glücklich, oder? Wahrscheinlich wären sie besser dran gewesen, wenn ich wie meine Cousins gewesen wäre – wie Tom Pritchett von der Baustelle zum Beispiel. Vielleicht wäre auch ich besser dran gewesen!«
Sie runzelte die Stirn. Dann kehrte sie wieder mit dem Ast über den Boden. Ohne mich anzuschauen, sagte sie: »Die ganze Zeit über habe ich gedacht, dass Sie uns ein wenig hassen müssen, meine Mutter, meinen Bruder und mich.«
»Sie hassen?«, erwiderte ich verwundert.
»Ja, wegen Ihrer Eltern. Aber nun klingt es beinahe so, als … als würden Sie sich selbst hassen.«
Ich antwortete nicht, und in verlegenem Schweigen marschierten wir weiter. Da der Abend allmählich hereinbrach, beschleunigten wir unsere Schritte. Bald verließen wir die dunkle Spur, die wir auf dem Hinweg hinterlassen hatten, suchten nach trockenerem Untergrund und näherten uns dem Haus über eine andere Strecke. Wir kamen an eine Stelle, wo der Gartenzaun einem alten Ha-Ha 1) wich, dessen Böschungen jedoch abgerutscht und so überwuchert waren, dass man ihn eher als »Oh je« hätte bezeichnen können, wie ich bemerkte. Mein Kommentar brachte Caroline zum Lächeln und hob unsere gedrückte Stimmung ein wenig. Wir kämpften uns durch den dicht bewachsenen Graben, dann standen wir plötzlich wieder auf einem wassergetränkten Rasenstück und mussten uns genau wie vorher auf Zehenspitzen einen Weg durch den Matsch suchen. Meine Schuhe mit ihren weichen Sohlen waren nicht für solche Expeditionen gemacht, und einmal wäre ich fast in einen Erdspalt geschlittert. Darüber musste Caroline herzlich lachen, und das Blut schoss ihr in die ohnehin schon geröteten Wangen und ließ sie glühen.
Da wir keine schmutzigen Fußspuren hinterlassen wollten, betraten wir das Haus durch die Gartentür. Das Herrenhaus war, wie neuerdings immer, nicht erleuchtet, und obwohl auch draußen kein sonniger Tag war, hatte man, je näher man darauf zuging, das Gefühl, als würde man immer weiter in den Schatten treten, so als ob die
Weitere Kostenlose Bücher