Der Besucher - Roman
sie in einem Quickstepp in die Menge. Nachdem wir beim Einreihen zunächst von ein paar Hacken und Ellbogen geschrammt wurden, fanden wir rasch in den Rhythmus der Tanzenden und bald auch unseren Weg.
Sie schlug die Augen wieder auf und blickte mich beeindruckt an. »Aber wie kommen wir hier wieder raus?«
»Machen Sie sich mal darüber jetzt noch keine Gedanken.«
»Wir müssen warten, bis die langsamen Stücke kommen. Sie tanzen übrigens ziemlich gut.«
»Sie aber auch.«
»Das scheint Sie ja zu überraschen. Ich tanze gern. Das war schon immer so. Im Krieg habe ich getanzt wie eine Wilde. Das war das Beste am Krieg, das viele Tanzen. Als ich jünger war, habe ich immer mit meinem Vater getanzt. Er war so groß, dass es nicht störte, dass ich ebenfalls groß war. Er hat mir alle Schritte beigebracht. Rod war ein hoffnungsloser Fall. Er meinte immer, ich würde ihn herumwuchten, da könne er genauso gut mit einem Jungen tanzen. Sie wuchte ich doch nicht herum, oder?«
»Überhaupt nicht.«
»Und ich rede auch nicht zu viel? Ich weiß, dass manche Männer das nicht mögen. Anscheinend bringt es sie aus dem Takt.«
Ich erwiderte, von mir aus könne sie so viel reden, wie sie wolle. Tatsächlich war ich froh, dass sie so gute Laune hatte und beim Tanzen entspannt und beweglich in meinen Armen lag. Wir hielten einen kleinen formellen Abstand zwischen uns, doch gelegentlich wurde sie im Gedränge dichter an mich gepresst, und dann spürte ich ihre vollen weiblichen Rundungen an meiner Brust und die Bewegung ihrer Hüften. Wenn wir uns drehten, spannte sich ihr muskulöser Rücken unter meiner Hand an. Ihre rechte Hand war klebrig von der Bowle; einmal wandte sie den Kopf, um über die Tanzfläche zu blicken, und ich roch einen Hauch Brandy in ihrem Atem. Ich hatte den Eindruck, dass sie ein wenig beschwipst war. Vielleicht war ich ebenfalls ein wenig beschwipst. Doch ich verspürte plötzlich eine Welle der Zuneigung für sie, so unverhofft und schlicht, dass ich lächeln musste.
Sie legte den Kopf zurück und schaute mich an. »Warum grinsen Sie denn so? Sie sehen aus wie ein Turniertänzer. Haben die Ihnen etwa eine Nummer am Rücken befestigt?« Sie spähte scherzhaft über meine Schulter und tat so, als wolle sie sich vergewissern, dabei federte ihr Busen wieder gegen meine Brust. Dann sprach sie mir ins Ohr: »Da drüben ist Dr. Seeley. Schwingen Sie mich mal rum, dann können Sie seine Fliege und sein Knopfloch bewundern!«
Ich drehte sie, bis ich Seeley sehen konnte, der groß und bärenhaft plump mit seiner Frau tanzte. Er trug eine gepunktete Fliege, in seinen Knopfloch steckte eine fleischige Orchidee; weiß der Himmel, wo er die herbekommen hatte. Eine etwas zu reichlich eingefettete Haarsträhne hing ihm über die Braue hinab.
»Ich glaube, er hält sich für Oscar Wilde«, sagte ich.
»Oscar Wilde!« Caroline lachte. Ich konnte das Vibrieren in meinen Armen spüren. »Wenn er das doch bloß wäre! Als ich noch jünger war, haben wir Mädchen ihn immer ›die Krake‹ genannt. Er war immer ganz wild darauf, einen in seinem Auto mitzunehmen. Und egal, wie viele Hände er am Steuer hatte – er schien immer noch mindestens eine frei zu haben … Führen Sie mich lieber woandershin, wo er uns nicht sehen kann. Und vergessen Sie nicht: Sie müssen mir immer noch den ganzen Klatsch und Tratsch erzählen. Bleiben Sie am Rand der Tanzfläche …«
»Wer führt denn hier eigentlich? Ich glaube, langsam verstehe ich, was Roderick gemeint hat, als er sagte, Sie würden ihn herumwuchten.«
»Bleiben Sie am Rand«, sagte sie und lachte wieder, »und während wir die Runde machen, können Sie mir erzählen, wer wer ist und wer die meisten Patienten auf dem Gewissen hat, welche Ärzte mit welchen Schwestern ins Bett gehen – all die Skandale eben.«
Also hielten wir uns während der nächsten zwei, drei Tänze am Rande der Tanzfläche, und ich tat mein Bestes, ihr die wichtigsten Personen aus dem Krankenhaus zu zeigen und ein paar harmlosere Klatschgeschichten zu erzählen; dann ging die Musik in einen Walzer über, und die Tanzfläche leerte sich. Wir gingen wieder an die Bar, um noch eine Bowle zu holen. Im Saal wurde es wärmer. Ich entdeckte David Graham, der gerade zusammen mit Anne angekommen war und sich einen Weg in unsere Richtung bahnte. Caroline war ihm zuletzt begegnet, als er nach Hundreds gekommen war, um meine Einschätzung von Roderick zu stützen, am Tag bevor Rod in die Klinik geschickt
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