Der Besucher - Roman
überzogen, und ihr Hals wie auch ihre Arme glühten immer noch. Die frische Farbe stand ihr, wie ich fand. Obwohl ihr Kleid unprätentiös und ihr ganzes Auftreten so schlicht war, sah sie plötzlich sehr jung aus – so als sei durch Lachen und Bewegung nicht nur ihr Blut in Wallung geraten, sondern zugleich auch ihre Jugend an die Oberfläche gestiegen.
Ich beobachtete sie während des gesamten Tanzes bis zum Beginn des nächsten, und erst als Seeley das Wort ergriff, wurde mir klar, dass er sie ebenfalls beobachtet hatte.
»Caroline Ayres macht sich aber gut heute«, stellte er fest.
Ich trat einen Schritt beiseite, um meine Zigarette im nächstgelegenen Aschenbecher auszudrücken. »Ja, das tut sie«, erwiderte ich.
»Das Mädel ist eine gute Tänzerin. Die weiß schon, wie sie ihre Hüften gebrauchen muss! Die meisten Engländerinnen tanzen ja bloß mit den Füßen.« Sein Tonfall bekam einen Hauch von Anzüglichkeit. »Sie haben sie doch bestimmt mal reiten sehen, oder? Die hat was, das kann man nicht anders sagen. Schade nur, dass sie nicht über das entsprechende Aussehen verfügt. Aber trotzdem«, er zog noch einmal an seiner Zigarette, »ich an Ihrer Stelle würde mich davon nicht abhalten lassen.«
Einen Augenblick lang dachte ich, ich hätte mich verhört. Doch dann sah ich an seiner Miene, dass ich ihn durchaus richtig verstanden hatte.
Auch er sah wohl meinen Gesichtsausdruck. Er hatte die Lippen gespitzt, um eine Rauchwolke auszupusten, doch nun musste er lachen, und der Rauch stieg in einzelnen, zerfransten Wölkchen empor. »Ach, kommen Sie schon! Es ist doch ein offenes Geheimnis, wie viel Zeit Sie bei dieser Familie verbracht haben! Im Ort hat es schon ein ganz schönes Gerede gegeben, welche der beiden Frauen Sie ins Visier genommen haben – die Tochter oder die Mutter.«
Er sprach gerade so, als sei die ganze Angelegenheit ein einziger großer Witz und er ein verbündeter Mitschüler, der mich zu irgendeinem Dumme-Jungen-Streich anstacheln wollte.
Ich erwiderte kühl: »Das muss ja ein großer Spaß für alle gewesen sein!«
Doch er lachte bloß. »Nehmen Sie es doch nicht krumm! Sie wissen doch, wie das Leben auf dem Dorf ist. Fast so schlimm wie im Krankenhaus. Wir sind dankbar für jede kleine Abwechslung, die sich uns bietet. Ich persönlich verstehe nicht, warum Sie so zögerlich mit Ihrer Entscheidung sind. Mrs. Ayres war zu ihrer Zeit bestimmt eine sehr attraktive Frau. Aber ich an Ihrer Stelle würde Caroline nehmen – allein aus dem Grund, dass sie noch so viele schöne Jahre vor sich hat.«
Wenn ich mir seine Äußerungen jetzt wieder ins Gedächtnis rufe, kommen sie mir dermaßen anzüglich und unverschämt vor, dass ich mich eigentlich wundere, wie ich so ruhig bleiben konnte. Wie konnte ich ihn reden lassen und in sein alkoholgerötetes Gesicht starren, ohne ihm einen Faustschlag versetzen zu wollen? Doch zu jenem Zeitpunkt war ich vor allem betroffen von der milden Herablassung, die er an den Tag legte. Mir schien, als hätte ich mich zum Narren gemacht, und ich befürchtete wohl, dass ein Faustschlag von mir ihn nur in seiner Einschätzung bestätigen würde, dass ich im Grunde eine Art Bauerntrottel war. Also stand ich bloß stocksteif da, ohne etwas zu erwidern, hätte ihn zwar gern zum Schweigen gebracht, wusste aber nicht, wie. Er sah meine Verwirrung und versetzte mir tatsächlich einen Stups.
»Da hab ich Sie wohl ins Grübeln gebracht, was? Mensch, fackeln Sie nicht lange, alter Junge, heute Abend ist die Gelegenheit!« Er deutete in Richtung Tanzfläche. »Ehe dieser Blödmann mit der Hornbrille Ihnen noch zuvorkommt. Immerhin haben Sie bis nach Hundreds noch eine lange Fahrt im dunklen Auto vor sich!«
Endlich erwachte ich aus meiner Erstarrung. »Ich glaube, ich habe da drüben Ihre Frau entdeckt«, sagte ich und nickte über seine Schulter hinweg in die Menge.
Er blinzelte, und während er sich umwandte, nutzte ich die Gelegenheit und ergriff die Flucht. Hastig bahnte ich mir einen Weg, vorbei an Tischen und Stühlen, und wollte eigentlich in Richtung Tür, um mich in der frischen Nachtluft ein wenig abzukühlen. Doch auf dem Wege kam ich an dem Tisch vorbei, an dem ich mit den Grahams gesessen hatte. Das Ehepaar aus Stratford sah, wie ich mit starrer Miene durch die Menge steuerte, dachte natürlich, ich sei auf der Suche nach meinem Platz, und rief mich heran. Da die Frau am Stock ging, waren sie an den Tisch gebunden und konnten nicht mittanzen. Sie
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