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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Brandy wirklich vom Schwarzmarkt?«
    »Vermutlich.«
    »Das ist ja schockierend!«
    »Ach, ich denke, ein bisschen schwarzgebrannter Brandy wird uns schon nicht schaden.« Ich legte ihr die Hand auf den Rücken und schob sie aus dem Durchgangsverkehr, der zur Bar strömte. Der Saal füllte sich mehr und mehr.
    Wir machten uns auf die Suche nach einem freien Tisch. Doch schon bald begrüßte mich der Nächste, diesmal einer der Chefärzte und zufällig genau derjenige, bei dem ich meinen Bericht über die erfolgreiche Behandlung von Rods Bein eingereicht hatte. Selbstverständlich konnte ich da nicht einfach weitergehen. Er unterhielt sich bestimmt eine Viertelstunde mit mir und wollte meine Meinung über den Therapieverlauf bei einem seiner Patienten hören. Er bemühte sich kaum, Caroline ins Gespräch miteinzubeziehen, und ich blickte mehrmals wieder zu ihr hinüber, während er redete. Sie schaute sich im Saal um und trank immer wieder hektisch und verlegen aus ihrem Pappbecher. Doch ab und zu blickte sie mich an, wenn der Chefarzt mich etwas fragte, so als nähme sie mich plötzlich in einem ganz anderen Licht wahr.
    »Sie sind ja hier eine ganz schön wichtige Person!«, stellte sie fest, als der Chefarzt schließlich weitergegangen war.
    »Ha!« Ich trank einen Schluck Bowle. »Das täuscht. Eigentlich bin ich hier wirklich ein Niemand.«
    »Dann können wir uns ja zusammentun. Das ist endlich mal eine Abwechslung gegenüber zu Hause. Da kann ich nämlich in kein Dorf mehr gehen, ohne dass ich das Gefühl haben muss, dass mir alle hinterherschauen und denken: Da geht die arme Miss Ayres aus dem Herrenhaus … Aber sehen Sie mal da!« Sie wandte den Kopf. »Die Krankenschwestern sind gekommen, eine ganze Horde, genau wie ich es mir vorgestellt hatte. Wie die Gänschen! Ich habe übrigens auch mal daran gedacht, Krankenschwester zu werden, während des Krieges. Aber mir haben so viele Leute gesagt, dass ich dafür wie geschaffen wäre, dass mir die Lust vergangen ist. Irgendwie hat es sich für mich nie wie ein Kompliment angehört. Deshalb bin ich lieber zu den Wrens gegangen. Um schließlich doch als Krankenschwester zu enden, als ich Roddie pflegen musste!«
    Da ich den wehmütigen Unterton in ihrer Stimme wahrnahm, fragte ich: »Haben Sie es denn vermisst, das Leben beim Militär?«
    Sie nickte. »Ja, sehr, jedenfalls zu Beginn. Die Arbeit hat mir gelegen, auch wenn es vielleicht ein wenig beschämend ist, das zuzugeben. Das Rumwerkeln an den Schiffen hat mir Spaß gemacht. Die festen Regeln haben mir gefallen. Ich fand es gut, dass es immer nur einen richtigen Weg gab, eine bestimmte Sorte Strümpfe, eine bestimmte Sorte Schuhe, eine einzige Art, wie man das Haar trägt. Ich hatte eigentlich vor, auch nach Kriegsende weiter dortzubleiben und vielleicht nach Italien oder Singapur zu gehen. Doch als ich erst mal wieder zurück auf Hundreds war …«
    Ein Mann und ein Mädchen hatten sich hastig vorbeigedrängt und waren dabei gegen Carolines Arm gestoßen; ihr Becher schwappte über, und sie hob ihn an den Mund, um die Tropfen abzulecken, danach schwieg sie. Inzwischen hatte sich eine Sängerin zur Kapelle gesellt, und die Musik war lauter und flotter geworden. Die Leute strömten begeistert auf die Tanzfläche, und in dem Gedränge wurde eine Unterhaltung zunehmend schwieriger.
    Ich erhob meine Stimme über die Musik und rief: »Hier können wir schlecht stehen bleiben. Am besten suche ich Ihnen einen Tanzpartner. Da ist zum Beispiel Mr. Andrews, der Chirurg.«
    Sie berührte meinen Arm. »Ach bitte, stellen Sie mich im Moment niemandem mehr vor. Und schon gar keinem Chirurgen! Jedes Mal wenn er mich anblickt, werde ich doch bloß denken, dass er sich gerade überlegt, wo er sein Skalpell ansetzen soll! Außerdem tanzen Männer nicht gerne mit großen Frauen. Aber wir beide könnten doch tanzen, oder?«
    »Ja, natürlich«, erwiderte ich. »Wenn Sie möchten.«
    Wir tranken unsere Becher leer, stellten sie ab und begaben uns auf die Tanzfläche. Als wir die Arme hoben, die Tanzstellung einnahmen und uns aufeinander zu bewegten, entstand ein kurzer Moment der Verlegenheit. Zunächst einmal mussten wir über das Künstliche dieser Pose hinwegkommen und uns irgendwie in das abweisende Gedrängel auf der Tanzfläche einreihen.
    Caroline meinte: »Diesen Moment finde ich immer schrecklich. Es ist, als müsste man in einen Paternoster springen.«
    »Dann schließen Sie einfach die Augen«, erwiderte ich und führte

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