Der Besucher - Roman
schienen sich so über meine Rückkehr zu freuen, dass ich es nicht übers Herz brachte weiterzugehen. Stattdessen setzte ich mich wieder zu ihnen und unterhielt mich den Rest des Abends mit den beiden. Ich habe nicht mehr die leiseste Ahnung, worüber wir eigentlich redeten, so durcheinander war ich von Seeleys Bemerkungen. Er hatte mich derartig aus dem Konzept gebracht, dass ich Mühe hatte, meine Gefühle halbwegs zu ordnen.
Dass ich Caroline hierher mitgenommen hatte, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie das aussehen könnte, erschien mir plötzlich schlichtweg unmöglich. Vermutlich hatte ich mich da draußen in der isolierten Lage von Hundreds daran gewöhnt, Zeit mit ihr zu verbringen. Und sollte ich ein-, zweimal eine kurze Gefühlswallung für sie empfunden haben – nun, dann war das eine ganz normale Sache, wie sie zwischen Männern und Frauen eben durch bloße Nähe entsteht, so wie Streichhölzer sich entzünden, wenn sie in ständiger Nähe in einer engen Schachtel aneinanderreiben. Wenn ich mir nun vorstellte, dass die Leute uns die ganze Zeit über beobachtet hatten, ihre Mutmaßungen geäußert – ja sich buchstäblich die Hände gerieben hatten … Ich fühlte mich irgendwie bloßgestellt und kam mir vor wie der letzte Idiot. Ein Teil meiner Wut rührte, wie ich leider zugeben muss, schlicht aus der typisch männlichen Verlegenheit darüber, dass mein Name mit dem eines bekanntermaßen unattraktiven Mädchens in eine romantische Verbindung gebracht wurde. Ein Teil war Scham darüber, dass ich so empfand. Und ein dritter, widerstreitender Teil war Stolz: Warum zum Teufel sollte ich, so sagte ich mir, Caroline Ayres nicht zu einer Tanzveranstaltung mitbringen, wenn es mir gefiel? Warum zum Teufel sollte ich nicht mit der Tochter des Gutsherrn tanzen, wenn es der Tochter des Gutsherrn so gefiel?
Und unter alles mischte sich eine Art nervöser Besitzanspruch auf Caroline, der mich wie aus heiterem Himmel überfallen hatte. Ich erinnerte mich wieder an das anzügliche Grinsen auf Seeleys Gesicht, als er sie beim Tanzen beobachtet hatte. Die weiß schon, wie sie ihre Hüften gebrauchen muss … Sie haben sie doch bestimmt mal reiten sehen, oder? Ich hätte ihn schlagen sollen, als ich noch die Gelegenheit hatte, dachte ich wütend. Wäre er jetzt gekommen und hätte die gleiche Bemerkung noch einmal gemacht, hätte ich das sicher getan. Ich blickte mich sogar suchend im Saal um, getrieben von dem verrückten Einfall, ihm hinterherzugehen. Doch ich konnte ihn nicht entdecken. Er tanzte weder, noch schaute er zu. Caroline konnte ich allerdings auch nicht sehen – ebenso wenig wie den Kerl mit der Hornbrille. Das beunruhigte mich zugegebenermaßen etwas. Ich machte immer noch höfliche Konversation mit dem Ehepaar aus Stratford, wir rauchten und tranken Wein. Doch während wir uns unterhielten, wanderten meine Blicke ständig im Saal umher Die ganze Tanzerei erschien mir plötzlich widersinnig und absurd; die Tanzenden kamen mir vor wie gestikulierende Irre. Ich wollte nur noch, dass Caroline endlich aus der rotgesichtigen, drängelnden Menge auftauchte, damit ich sie in ihren Mantel stecken und nach Hause verfrachten konnte.
Schließlich, kurz nach eins, als die Musik aufgehört hatte und das Licht angegangen war, erschien sie wieder an unserem Tisch, gemeinsam mit Brenda. Beide kamen offenbar frisch von der Tanzfläche, sie hatten gerötete Gesichter, die Schminke an Lippen und Augen war verschmiert. Caroline stand ein Stück von mir entfernt, gähnte und zupfte am Oberteil ihres Abendkleides, das ihr an der schweißnassen Haut klebte. Dabei wurde an der Achselhöhle ein Stück ihres Büstenhalters sichtbar – und auch die Achselhöhle selbst, eine muskulöse Vertiefung, auf der ein Schatten aus feinen Haarstoppeln lag, durchzogen von ein paar Streifen aus Talkumpuder. Obwohl ich ihre Rückkehr herbeigesehnt hatte, verspürte ich, als sie meinem Blick mit einem Lächeln begegnete, unerklärlicherweise eine seltsame Wut in mir aufwallen und musste mich abwenden. Ich sagte ihr in ziemlich unfreundlichem Tonfall, dass ich unsere Sachen aus der Garderobe holen würde, und Brenda und sie begaben sich noch einmal zur Damentoilette. Als sie zurückkamen, gähnte sie zwar immer noch, hatte sich aber zu meiner Erleichterung das Haar frisiert und mithilfe von Puder und Lippenstift ihr Gesicht wieder in einen annehmbaren, ordentlichen Zustand gebracht.
»Mein Gott, ich sah ja schrecklich
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