Der Besucher - Roman
damit! Betty kann jeden Moment wieder hereinkommen!«
»Ach, Betty ist ein Mädchen vom Lande. Sie weiß Bescheid über die Bienen und Blumen, und auch über die Katzen … Außerdem kennst du doch selbst die Lösung für unser Problem, oder? Heirate mich! Nächste Woche – oder morgen schon – wann immer du willst. Dann darf ich dich küssen, und es ist egal, wer uns dabei zuschaut. Und die kleine Betty wird einiges zu tun haben – dann kann sie uns nämlich morgens Rühreier mit Schinken und andere gute Sachen ans Bett servieren!«
Ich lächelte immer noch, doch sie starrte mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. »Aber wie meinst du denn das?«, sagte sie. »Wir würden doch dann nicht hie r leben, oder?«
Wir hatten noch nie über die praktischen Aspekte gesprochen, die unser Leben nach einer Hochzeit haben würde. Ich hatte es als selbstverständlich hingenommen, dass ich hier mit ihr im Herrenhaus leben würde. Etwas weniger sicher als vorher sagte ich: »Ja, aber warum denn nicht? Wir könnten doch deine Mutter nicht alleinlassen, oder?«
Sie runzelte die Stirn. »Aber wie sollte das funktionieren, mit deinen Patienten? Ich hatte eher angenommen …«
Ich lächelte. »Du würdest also lieber bei mir in Lidcote wohnen, in Dr. Gills grässlichem altem Haus?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ach, ich bin sicher, wir werden da eine Lösung finden. Ich kann ja die Praxis im Dorf behalten; vielleicht könnte ich eine Art wechselnden Nachtdienst mit Graham organisieren … Ich weiß es noch nicht. Im Juli, nach Einführung des staatlichen Gesundheitswesens, wird sich ohnehin alles ändern.«
»Aber als du aus London zurückkamst, hast du mir doch erzählt, dass es dort eine Stelle für dich gäbe«, sagte sie.
Ihr Einwurf überrumpelte mich etwas, hatte ich doch daran schon gar nicht mehr gedacht. Meine Reise nach London schien mir inzwischen Lichtjahre entfernt; die Entwicklung, die unsere Beziehung genommen hatte, hatte das Thema einer beruflichen Veränderung aus meinem Bewusstsein verdrängt. »Ach, es hat gar keinen Sinn, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen«, sagte ich unbekümmert. »Ab Juli wird sowieso alles anders. Dann gibt es womöglich Stellen im Überfluss – oder aber für niemanden mehr.«
»Für niemanden? Aber wie können wir dann je von hier fortgehen?«
»Würden wir denn fortgehen wollen?«
»Ich dachte …«, begann sie und zog dabei ein so sorgenvolles Gesicht, dass ich wieder ihre Hand ergriff und sagte: »Mach dir mal keine Sorgen. Es wird schon noch genug Zeit für all diese Überlegungen sein, wenn wir erst mal verheiratet sind. Denn das ist doch die Hauptsache, oder? Das ist doch für uns beide das Wichtigste!«
Ja, das sei es natürlich, erwiderte sie. Ich führte ihre Hand an meine Lippen und küsste sie. Dann setzte ich meinen Hut auf und begab mich zur Vordertür.
Und da begegnete ich Betty wieder. Sie kam gerade die Treppe herunter und sah noch verwirrter aus als vorher – und auch ein wenig eingeschnappt. Mrs . Ayres schlief tief und fest in ihrem Bett, wie es schien, also könne es unmöglich sie gewesen sein, die geläutet hatte. Doch das habe sie auch nie angenommen, sagte Betty mir. Nein, die Glocke vom kleinen Salon hätte geläutet – darauf würde sie beim Leben ihrer Mutter schwören –, und wenn Miss Caroline und ich ihr nicht glaubten, dann sei das einfach ungerecht, weil wir ihr Wort infrage stellten. Während sie sich dergestalt ereiferte, wurde ihre Stimme lauter, und bald erschien auch Caroline auf der Bildfläche und fragte neugierig, was das Theater sollte. Froh darüber, entfliehen zu können, überließ ich die beiden ihrem Streitgespräch und dachte nicht weiter darüber nach.
Als ich gegen Ende jener Woche wiederkam, hatte sich Hundreds Hall jedoch, um es mit Carolines Worten zu sagen, »in ein Irrenhaus« verwandelt. Die Dienstbotenklingeln hatten ein seltsames Eigenleben entwickelt und klingelten zu den unmöglichsten Zeiten, so dass Betty und die arme Mrs. Bazeley ständig von Zimmer zu Zimmer liefen und fragten, was gewünscht wurde, und damit ihrerseits Caroline und ihre Mutter zur Verzweiflung trieben. Caroline hatte den Verteilerkasten mit den Drähten und Klingeln im Untergeschoss überprüft, konnte dabei aber nichts Ungewöhnliches feststellen.
»Es ist, als würde ein Kobold sich dort drinnen zu schaffen machen und an den Drähten herumspielen, um uns zu ärgern«, erklärte sie mir, während sie mich in den
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