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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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wären braungebrannt, die staubigen Füße nackt… Mein eigenes freudloses Haus kam mir dagegen so düster und unwirklich vor wie ein Bühnenbild. Nachts lag ich in meinem Bett, konnte trotz großer Müdigkeit nicht einschlafen und dachte an Caroline. Meine Gedanken wanderten meilenweit durch die Dunkelheit, schlüpften wie ein Wilderer durch das Tor von Hundreds und huschten über die zugewachsene Auffahrt, drückten die verzogene Vordertür auf und schlichen über das Schachbrettmuster des Marmorbodens, die stillen Treppen empor, immer näher zu ihr.
     
    Anfang März schaute ich dann wie gewöhnlich beim Haus vorbei und erfuhr, dass wieder etwas vorgefallen war. Die seltsamen Streiche oder »der Schabernack«, wie Caroline es einmal genannt hatte, hatten auf ganz neue Weise wieder begonnen.
    Zuerst hatte sie mir gar nichts davon erzählen wollen. Es sei »keiner Erwähnung wert«, sagte sie. Doch da sie und ihre Mutter beide müde wirkten, machte ich eine Bemerkung in dieser Richtung, und da gestand sie mir, dass sie während der letzten Nächte in den frühen Morgenstunden vom Klingeln des Telefons geweckt worden seien. Es sei drei- oder viermal passiert, sagte sie, immer zwischen zwei und drei Uhr, und jedes Mal wenn sie hinuntergegangen seien und den Hörer abgenommen hätten, sei die Leitung tot gewesen.
    Sie hatten sich sogar schon gefragt, ob ich vielleicht der Anrufer sei. »Sie waren der Einzige, der uns einfiel, der um eine solche Uhrzeit wach sein konnte«, sagte Caroline. Sie blickte ihre Mutter an und errötete leicht. »Das waren aber nicht Sie, nehme ich an, oder?«
    »Nein, ich war es nicht«, erwiderte ich. »Es würde mir doch nicht im Traum einfallen, so spät bei Ihnen anzurufen! Und um zwei Uhr heute Morgen habe ich zufällig in meinem Bett gelegen und tief und fest geschlafen. Also sofern ich den Anruf nicht im Schlaf getätigt habe …«
    »Ja, natürlich«, erwiderte sie und lächelte. »Vielleicht hat es ja irgendein Durcheinander bei der Vermittlung gegeben. Ich wollte mich nur vergewissern.«
    Es klang, als sei die Sache damit für sie erledigt, also ließ auch ich das Thema fallen. Bei meinem nächsten Besuch erfuhr ich jedoch, dass ein oder zwei Nächte zuvor wieder ein Anruf gekommen war, wieder gegen halb drei. Diesmal hatte Caroline das Telefon klingeln lassen und war im Bett liegen geblieben, unwillig, in Kälte und Dunkelheit aufzustehen. Doch irgendwann war ihr das schrille, hektische Klingeln zu viel geworden, und als sie hörte, wie ihre Mutter sich in ihrem Zimmer rührte, war sie schließlich nach unten gegangen und hatte den Hörer abgehoben – nur um wieder festzustellen, dass die Leitung tot war.
    »Nein, eigentlich war sie gar nicht richtig tot«, verbesserte sie sich. »Das ist ja das Komische. Ich habe zwar keine Stimme gehört, aber ich hätte schwören können, dass da jemand war. Ich weiß, das klingt albern. Ich hätte schwören können, dass jemand dran war, der absichtlich auf Hundreds angerufen hat. Der etwas von uns wollte. Im ersten Moment habe ich wieder an dich gedacht.«
    »Aber ich habe um diese Zeit fest geschlafen«, erwiderte ich. Und da wir in jenem Moment allein waren, fügte ich noch verschwörerisch hinzu: »Und wahrscheinlich von dir geträumt!«
    Ich berührte ihr Haar mit der Hand und wollte ihr darüberstreichen, doch sie hielt meine Finger in der Bewegung fest. »Ja. Aber irgendjemand hat angerufen. Ich habe mich schon gefragt, ob … Ich werde diesen Gedanken einfach nicht mehr los. Aber meinst du nicht, es könnte vielleicht Roddie gewesen sein?«
    »Rod!«, sagte ich verwundert. »Aber nein, bestimmt nicht.«
    »Es wäre doch möglich, oder? Stell dir vor, wenn er vielleicht irgendwelche Schwierigkeiten hat … in dieser Klinik, meine ich. Wir haben ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Und Dr. Warren schreibt in seinen Briefen jedes Mal das Gleiche. Sie könnten da alles mit ihm anstellen – irgendwelche Medikamente oder Behandlungen an ihm ausprobieren. Wir wissen doch gar nicht, was sie da mit ihm machen. Wir bezahlen bloß die Rechnungen.«
    Ich nahm ihre Hände. Sie sah meine zweifelnde Miene und meinte: »Es ist bloß so ein Gefühl. Dass irgendjemand angerufen hat, der uns etwas sagen wollte.«
    »Es war halb drei nachts, Caroline. Da hätte jeder so ein Gefühl. Bestimmt ist deine erste Vermutung richtig: Es muss irgendeine Störung in den Leitungen gegeben haben. Warum rufst du nicht gleich mal bei der Vermittlung an und sprichst

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