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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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mit der Frau? Erkläre ihr einfach, was passiert ist.«
    »Ja, meinst du?«
    »Aber warum denn nicht – wenn es dich beruhigt.«
    Also ging sie stirnrunzelnd zu dem altertümlichen Telefon hinüber, das im kleinen Salon stand, und wählte die Vermittlung. Dabei hatte sie mir den Rücken zugekehrt, doch ich hörte, wie sie der Dame von den nächtlichen Anrufen berichtete. »Ja, das wäre sehr freundlich«, hörte ich sie übertrieben munter sagen und gleich darauf deutlich weniger fröhlich: »Ich verstehe. Ja, wahrscheinlich haben Sie recht. Ja. Vielen Dank. Tut mir leid, dass ich Ihnen die Mühe gemacht habe.«
    Sie legte den Hörer auf und wandte sich wieder zu mir um; die Falten hatten sich noch tiefer in ihre Stirn gegraben. Sie hob die Finger an den Mund und knabberte nachdenklich an ihrer Fingerspitze, dann sagte sie: »Die Frau, die nachts in der Vermittlung arbeitet, ist jetzt natürlich nicht da. Aber das Mädchen, mit dem ich gesprochen habe, hat sich alle Protokolle angeschaut – die Zettel oder was auch immer, auf denen sie alle Anrufe aufzeichnen. Sie sagte, dass in dieser Woche niemand auf Hundreds angerufen hat, überhaupt niemand. Und letzte Woche hätte auch niemand angerufen.«
    »Aber dann ist doch alles klar«, erwiderte ich nach kurzem Zögern. »Dann muss es doch offensichtlich einen Fehler in der Leitung geben – oder was noch wahrscheinlicher ist: bei den Kabeln hier im Hause. Jedenfalls war es ganz sicher nicht Rod. Verstehst du? Es war überhaupt niemand.«
    »Ja«, erwiderte sie langsam und kaute immer noch an ihren Fingern herum. »Das hat das Mädchen auch gesagt. So muss es wohl sein, oder?«
    Sie wirkte immer noch nicht sonderlich überzeugt. Und in der folgenden Nacht klingelte das Telefon wieder. Da sie bei meinem nächsten Besuch nach wie vor der unvernünftigen Sorge anhing, dass ihr Bruder womöglich versuchte, mit ihr in Kontakt zu treten, rief ich, um sie zu beruhigen, bei der Klinik in Birmingham an und erkundigte mich, ob es möglich sei, dass Rod diese Anrufe getätigt habe. Man versicherte mir, das sei unmöglich. Ich sprach mit Dr. Warrens Assistent und bemerkte, dass sein Tonfall längst nicht mehr so unbeschwert klang wie bei unserer letzten Begegnung kurz vor Weihnachten. Er berichtete mir, dass Rod zu Beginn des Jahres zunächst kleine, aber deutliche Fortschritte gemacht hätte, in letzter Zeit aber alle Erwartungen enttäuscht hätte und »ein paar schlimme Wochen« hinter sich habe. Er führte die Einzelheiten nicht weiter aus, aber dummerweise hatte ich angerufen, während Caroline im Zimmer war. Sie schnappte genug von dem Gespräch auf, um sich zusammenzureimen, dass die Entwicklung nicht gut verlief, und war nach dem Anruf bedrückt und noch grüblerischer als zuvor.
     
    Wie als Reaktion auf ihre wachsende Besorgnis hörten die Telefonanrufe auf, und eine neue Form der Belästigung begann. Dieses Mal war ich zufällig selbst auf Hundreds, da ich zwischen zwei Hausbesuchen vorbeigeschaut hatte. Caroline und ich waren gerade allein im kleinen Salon – tatsächlich hatte ich ihr einen Kuss zum Abschied gegeben, und sie hatte sich gerade aus meinen Armen gelöst –, als plötzlich und überraschend die Tür aufging. Betty trat ein, knickste und fragte, was wir von ihr wollten.
    »Wie meinst du das?«, fragte Caroline gereizt und wischte sich nervös das Haar aus dem Gesicht.
    »Jemand hat geläutet.«
    »Nun, ich war es nicht. Bestimmt hat meine Mutter nach dir geklingelt.«
    Betty sah verwirrt aus. »Madam ist aber oben, Miss.«
    »Ja, ich weiß, dass sie oben ist.«
    »Aber Miss, es war doch die Glocke vom kleinen Salon, die geläutet hat.«
    »Nun, das kann aber nicht sein, oder? Wenn weder ich sie betätigt habe noch Dr. Faraday. Glaubst du vielleicht, sie hat von allein geläutet? Geh nach oben und schau nach, was meine Mutter von dir will.«
    Verwirrt verließ Betty wieder das Zimmer. Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, begegnete ich Carolines Blick, wischte mir über die Lippen und hätte beinahe gelacht. Doch sie erwiderte mein Lächeln nicht. Stattdessen wandte sie sich ungeduldig ab und sagte mit überraschendem Nachdruck: »Das ist einfach abscheulich. Ich kann es nicht länger ertragen! Dieses heimliche Herumschleichen, wie die Katzen!«
    »Wie die Katzen!«, wiederholte ich, belustigt über diesen Vergleich. Dann nahm ich ihre Hand und wollte sie wieder zu mir ziehen. »Komm her, Pussy! Liebe Pussy!«
    »Um Himmels willen, hör auf

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