Der Besucher - Roman
auf mir lasten.
Endlich wandte ich mich ihr zu und verteidigte mich: »Sie hat mir gegenüber tatsächlich etwas erwähnt, an dem Morgen, als ich Gyp eingeschläfert habe. Doch ihr wart alle so unglücklich, dass ich euch nicht noch mehr aufregen wollte. Als dann die Geschichte mit Rod anfing, dachte ich zuerst, dass Betty möglicherweise einen Teil davon ausgelöst hätte – dass sie ihm die ganze Idee überhaupt erst in den Kopf gesetzt hätte. Sie hat mir jedoch geschworen, sie hätte nichts damit zu tun.«
»Ich glaube auch nicht, dass sie etwas damit zu tun hatte«, sagte Caroline.
Sie war zum Lehnstuhl hinübergegangen und hob nun zwei dicke Bücher von dem danebenstehenden Tischchen. Sie hielt sie vor die Brust, holte tief Luft, und als sie weitersprach, klang eine Art stille Würde aus ihrer Stimme.
»Es ist mir egal, dass du es mir gegenüber nicht eher erwähnt hast«, sagte sie. »Es ist mir auch egal, dass ich es von Betty und nicht von dir erfahren habe. Ich weiß, was du über die Vorfälle in diesem Haus denkst. Aber ich möchte, dass du mir nun zuhörst – wenigstens kurz. Das bist du mir schuldig, glaube ich.«
Ich ging einen Schritt auf sie zu, doch ihre Körperhaltung und ihr Ausdruck blieben abweisend. Ich hielt inne und sagte vorsichtig: »Schon gut.«
Sie holte noch einmal tief Luft und fuhr fort:
»Nachdem Betty gestern mit mir gesprochen hat, bin ich ins Grübeln geraten. Plötzlich sind mir wieder ein paar Bücher meines Vaters in den Sinn gekommen. Ich habe mich an die Titel erinnert und sie gestern Abend herausgesucht. Ich hatte schon fast befürchtet, sie wären weggegeben worden, aber dann habe ich sie doch noch gefunden.«
Mit überraschender Befangenheit reichte sie mir die beiden Wälzer. Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartet hatte. Aus der äußeren Erscheinung der Bände hatte ich wohl geschlossen, dass es sich um medizinische Fachbücher handeln könne. Doch dann las ich die Titel: Gespenster lebender Personen und andere telepathische Erscheinungen und Die Nachtseite der Natur.
»Caroline«, sagte ich vorwurfsvoll und ließ die Bücher wieder sinken. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die uns weiterhelfen werden.«
Als sie merkte, dass ich nicht vorhatte, mir die Bücher näher anzuschauen, nahm sie sie wieder zurück und blätterte ungeschickt und mit nervösen Fingern selbst darin herum, als hätte sie ihre Bewegungen nicht ganz unter Kontrolle. Wieder betrachtete ich ihre hochroten Wangen, und mir ging auf, dass das, was ich für eine frische Färbung gehalten hatte, tatsächlich von einem ungesunden Erregungszustand herrührte. Sie fand eine Seite, die sie mit einem Stück Papier gekennzeichnet hatte, und begann laut vorzulesen.
»›Am ersten Tage‹«, las sie, »›wurde die Familie, die um ihrer Frömmigkeit willen allgemein geachtet ist, auf einmal durch eine geheimnisvolle Bewegung unter den Geräthschaften in den Wohnstuben, der Küche und anderen Theilen des Hauses erschreckt. Ohne daß man eine sichtbare Mitwirkung bemerkte, fiel einer der Krüge aus seinem Haken über dem Anrichttische und zerbrach, dann folgte ein anderer und am nächsten Tage der dritte. Ein Porcellaintheetopf, in welchem bereits Thee angemacht war, huschte von dem Kaminsims auf den Boden herunter und ging in Scherben.‹« 1)
Sie warf mir einen scheuen Blick zu, aus dem jedoch eine Spur Aufsässigkeit sprach. Die Rötung ihres Gesichts war noch kräftiger geworden. »Das ist in London passiert, im achtzehnten Jahrhundert«, sagte sie. Sie blätterte ein paar Seiten weiter. »Und das hier geschah achtzehnhundertfünfundreißig in Edinburgh. ›Mochte er thun, was er wollte, die Sache ging in der alten Weise fort, man hörte Tag und Nacht die Tritte unsichtbarer Füße, ein Klopfen, Kratzen und Rasseln, zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite.‹« 2)
»Caroline!«, sagte ich mit vorwurfsvoller Stimme.
Sie blätterte weiter in dem Buch herum, so hektisch, dass eine der Seiten einriss. »Und jetzt hör dir mal das hier an: ›Ferner sind mir zahlreiche außerordentliche Berichte von dem übernatürlichen Läuten an allen Glocken in einem Hause zu Handen gekommen. Bisweilen dauerte dieß periodisch eine beträchtliche Zeit fort, auch dann, nachdem man alle Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, um der Möglichkeit eines Betrugs oder eines Possens vorzubeugen.‹« 3)
Ich nahm ihr das Buch aus der Hand. »Na schön«, sagte ich. »Dann lass mich mal
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