Der Besucher - Roman
wird es wohl sein«, sagte sie, »wenn der Doktor es doch sagt.«
»Also, ich bin jetzt hier, um dir Gesellschaft zu leisten. Was sollen wir machen? Soll ich dir etwas vorlesen?«
Caroline fing meinen Blick auf und nickte mir zu. Dann nahm sie Bettys Platz auf dem zweiten Lehnstuhl ein, während ich Betty nach unten begleitete. Ich fragte sie, genau wie zuvor Caroline, ob ihr in letzter Zeit irgendwelche Veränderungen an Mrs. Ayres aufgefallen wären und ob sie irgendwelche kleineren Verletzungen, Kratzer oder Schnitte bemerkt hätte.
Sie schüttelte mit ängstlichem Blick den Kopf. »Geht’s Mrs. Ayres wieder nich gut? Fängt es jetzt wieder an?«
»Nichts fängt wieder an«, erwiderte ich. »Ich weiß genau, woran du denkst, aber ich möchte nicht, dass du in diesem Haus solche Sachen sagst! Und du brauchst gar keine Angst zu haben. Das hat alles nichts mit den Dingen zu tun, die vorher passiert sind. Ich möchte bloß, dass du Mrs. Ayres gegenüber ein braves Mädchen bist, Ruhe bewahrst und alles tust, was man dir sagt. Und, Betty …« Sie hatte sich schon abgewandt. Ich berührte sie am Arm und fügte leise hinzu: »Behalte auch Miss Caroline im Auge. Ich verlasse mich auf dich. Ruf mich an, wenn dir irgendetwas merkwürdig vorkommt.«
Sie nickte ernst, presste die Lippen fest aufeinander und wirkte plötzlich längst nicht mehr so kindlich wie sonst.
Der Himmel hatte sich weiter verdüstert und der Schnee sein Glitzern verloren. Es war sogar noch kälter geworden, nur der energische Marsch über den Parkweg hielt mich warm, doch kaum saß ich in meinem Auto, kroch die Kälte wieder in mir empor, und ich begann zu zittern. Zum Glück sprang der Motor bereits beim ersten Versuch an, und die Fahrt zurück nach Lidcote verlief zwar langsam, aber ohne besondere Vorkommnisse. Doch ich zitterte immer noch, als ich das Haus aufschloss; ich zitterte, als ich vor dem Ofen stand und hörte, wie sich die Patienten der Abendsprechstunde auf der anderen Seite der Tür einfanden. Erst als ich die Hände am Waschbecken der Arzneiausgabe unter einen heißen Wasserstrahl hielt, der mir fast kochend vorkam, gelang es mir, die Kälte und das Zittern zu vertreiben.
Während ich eine Reihe der üblichen Winterleiden behandelte, kam ich allmählich wieder zu mir. Kaum war die Sprechstunde vorbei, rief ich auf Hundreds Hall an, und als mir Carolines klare feste Stimme versicherte, dass alles in Ordnung sei, war ich beruhigt.
Danach führte ich noch zwei weitere Telefonate.
Zuerst rief ich eine Frau in Rugby an, eine ehemalige Bezirkskrankenschwester im Ruhestand, der ich gelegentlich Privatpatienten zur Pflege überwies. Sie war zwar eher den Umgang mit körperlichen als mit nervlichen Leiden gewöhnt, doch war sie eine kompetente Frau, und nachdem sie sich meinen zurückhaltenden Bericht über Mrs. Ayres’ Fall angehört hatte, erklärte sie sich bereit, sie für die ein oder zwei Tage aufzunehmen, die ich brauchen würde, um eine angemessene Pflege und Unterbringung zu organisieren.
Ich kündigte an, dass ich ihr die Dame morgen vorbeibringen würde, vorausgesetzt die Straßen seien passierbar, und wir besprachen die weiteren Vereinbarungen.
Vor dem zweiten Anruf zögerte ich zunächst. Eigentlich wollte ich mich nur mit jemandem über den Fall austauschen, und normalerweise hätte ich mich dazu an Graham wenden müssen. Doch schließlich rief ich Seeley an. Er war der Einzige, der den Fall in allen Einzelheiten kannte, und es war mir eine große Erleichterung, ihm zu erzählen, was geschehen war, ohne am Telefon irgendwelche Namen erwähnen zu müssen, die die Telefonistinnen womöglich mithörten. Er verstand meine Andeutungen sofort, und seine gewohnt gutgelaunte Stimme wurde ernst, während er meinen Bericht verdaute.
»Das sind aber schlechte Neuigkeiten!«, sagte er. »Und das, wo Sie doch gerade gedacht hatten, die ganze Sache sei ausgestanden.«
»Und Sie glauben nicht, dass ich hier übereilt reagiere?«, fragte ich.
»Nein, auf keinen Fall. So wie die Sache klingt, ist Eile geboten!«
»Ich habe allerdings nicht viele Hinweise gefunden, dass wirklich körperlicher Schaden zugefügt wurde.«
»Ist denn das noch nötig? Der psychische Aspekt ist doch sicher beunruhigend genug. Seien wir doch ehrlich: Niemand unternimmt gern einen solchen Schritt bei Leuten ihres Schlages – und schon gar nicht, wenn es noch … nun ja … private Verwicklungen gibt. Aber was wäre die Alternative? Den Wahnvorstellungen
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