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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Baker-Hyde wandte, wie ich bemerkte, nicht einmal den Kopf nach ihr um.
    Die Arbeit dauerte fast eine Stunde, und als ich fertig war und das Mädchen immer noch benommen, sagte ich ihrem Vater, er solle sie nach Hause fahren. Ich wollte in meinem Auto folgen, noch kurz ein paar Dinge aus meiner Praxis holen und dann ebenfalls nach Standish fahren, wo ich sie noch mit zu Bett bringen konnte. Ich hatte ihren Eltern gegenüber die Möglichkeit nicht erwähnt, dass sie eine Blutvergiftung oder Infektion bekommen könnte, da mir die Wahrscheinlichkeit gering erschien, doch man musste vorbereitet sein.
    Betty wurde geschickt, um der Mutter des Mädchens Bescheid zu sagen, und Mr. Baker-Hyde und Mr. Morley trugen Gillian die Treppe hinauf und dann zu ihrem Auto. Sie war inzwischen weiter zu Bewusstsein gekommen, und als sie sie auf die Rückbank legten, begann sie erbärmlich zu weinen. Ich hatte ihr Gazestreifen über das Gesicht gelegt – allerdings weniger um ihretwillen als vielmehr aus Rücksicht auf ihre Eltern, denn durch die Stiche und das Jod sah die Wunde erschreckend aus.
    Als ich in den hellen Salon zurückkehrte, um mich zu verabschieden, waren alle Gäste noch da. Schweigend saßen oder standen sie herum, fassungslos wie nach einem Bombenangriff. Immer noch war Blut auf dem Teppich und dem Sofa zu sehen, doch irgendjemand hatte es wohl mit Wasser und einem Lappen bearbeitet, denn die Flecken waren zu einem hellen Rosa verlaufen.
    »Eine schlimme Geschichte«, meinte Mr. Rossiter.
    Helen Desmond hatte geweint. »Das arme, arme Mädchen!«, sagte sie. Dann senkte sie die Stimme: »Sie wird schrecklich entstellt aussehen, nicht wahr? Wie konnte das nur passieren? Gyp ist doch kein bissiger Hund, oder?«
    »Natürlich nicht!«, sagte Caroline mit ihrer neuen, angespannten, künstlich klingenden Stimme. Sie saß ein Stück abseits und hatte Gyp bei sich; er zitterte merklich, und sie streichelte ihm den Kopf. Doch auch ihre Hände zitterten. Das künstliche Rot auf ihren Wangen und ihrem Mund wirkte ungesund bläulich, und der Paillettenkamm hing ihr schief in den Haaren.
    Bill Desmond sagte: »Irgendwas muss ihn erschreckt haben. Wahrscheinlich hat er etwas gesehen oder gehört. Hat denn irgendeiner von uns geschrien oder eine unbedachte Bewegung gemacht? Ich habe mir schon den Kopf zermartert.«
    »Es hat nicht an uns gelegen«, sagte Caroline. »Das Mädchen muss ihn geärgert haben. Es sollte mich nicht wundern …«
    Sie verstummte, als Peter Baker-Hyde hinter mir im Korridor erschien. Er trug Mantel und Hut; auf seiner Stirn zeigte sich ein scharlachroter Streifen. »Wir sind so weit, Herr Doktor«, sagte er mit kalter, ruhiger Stimme. Die anderen würdigte er keines Blickes. Ich weiß nicht, ob er Gyp bemerkte.
    Mrs. Ayres trat auf ihn zu. »Sie werden uns doch morgen wissen lassen, wie es der Kleinen geht?«
    Er streifte sich energisch seine Lederhandschuhe über und blickte sie immer noch nicht an. »Ja, wenn Sie das wünschen.«
    Sie ging noch einen Schritt auf ihn zu und sagte leise und mit aufrichtigem Mitgefühl: »Es tut mir so schrecklich leid, dass das passiert ist, Mr. Baker-Hyde – und dann auch noch in meinem Haus.«
    Doch er billigte ihr nur einen knappen Blick zu und erwiderte: »Ja, Mrs. Ayres. Mir ebenfalls.«
    Ich folgte ihm hinaus in die Dunkelheit und startete mein Auto. Der Anlasser drehte sich mehrmals, ehe er ansprang, denn es hatte seit Stunden ohne Unterlass geregnet, und der Motor war feucht; zu jenem Zeitpunkt wussten wir es noch nicht, aber in dieser Nacht schlug das Wetter um, und wir steuerten auf den düsteren Winter zu. Ich wendete das Auto und wartete dann, bis Peter Baker-Hyde die Führung übernommen hatte. Er fuhr mit geradezu quälender Langsamkeit über den holprigen, zugewucherten Weg zur Parkmauer. Doch kaum war sein Schwager ausgestiegen, hatte das Tor geöffnet und hinter uns wieder geschlossen, gab er ordentlich Gas, und ich musste mich ranhalten, um ihn nicht zu verlieren. Krampfhaft spähte ich durch die hin- und herschwenkenden Scheibenwischer und hielt den Blick auf die roten Hecklichter seines teuren Autos gerichtet, bis sie in der Dunkelheit der kurvenreichen Feldwege zu schwimmen schienen.

4
     
     
     
     
     
     
    G egen ein Uhr verließ ich die Baker-Hydes und versprach, am nächsten Tag wiederzukommen. Meine Vormittagssprechstunde geht von neun bis nach zehn Uhr, daher war es beinahe elf, als ich wieder auf dem Hof von Standish vorfuhr. Mein erster

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