Der Besucher - Roman
Blick fiel auf einen schlammbespritzten kastanienbraunen Packard, den ich unschwer als den Wagen von Dr. Seeley, meinem Konkurrenten hier vor Ort, erkannte. Es war nur verständlich, dass die Baker-Hydes ihn eingeschaltet hatten, schließlich war er ihr Hausarzt. Dennoch entsteht für den Arzt, der sich als Erster mit einem Fall befasst, immer eine unangenehme Situation, wenn der Patient jemanden hinzuzieht, ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen. Eine Art Butler oder Sekretär führte mich ins Haus, wo ich auf Seeley traf, der gerade aus dem Schlafzimmer des Mädchens im oberen Stockwerk herunterkam. Er war ein groß gewachsener, kräftiger Mann und wirkte auf der engen Treppe aus dem sechzehnten Jahrhundert noch raumgreifender als sonst. Ganz offensichtlich war er ebenso verlegen, mir mit meiner Arzttasche in der Hand zu begegnen, wie ich, ihn mit seiner zu sehen.
»Sie haben mich gleich heute Morgen angerufen«, erklärte er und nahm mich beiseite, um den Fall mit mir zu besprechen. »Dies ist bereits mein zweiter Besuch heute.« Er zündete sich eine Zigarette an. »Ich habe gehört, Sie waren auf Hundreds, als es passierte? Das war ja noch Glück im Unglück. Ziemlich schrecklich für das kleine Mädchen, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte ich. »Wie ist denn Ihr Eindruck heute? Wie sieht die Wunde aus?«
»Sehr ordentlich. Sie haben sie besser genäht, als ich es hingekriegt hätte. Und noch dazu auf einem Küchentisch! Es wird natürlich schlimme Narben geben. Eine Schande, vor allem für ein Mädchen aus der gehobenen Klasse. Die Eltern wollen sie unbedingt nach London zu einem Spezialisten schicken, aber ich befürchte, dass man selbst in London nicht allzu viel für sie tun kann. Aber wer weiß? Die plastischen Chirurgen konnten ja während der letzten Jahre weiß Gott genug Erfahrungen sammeln. Im Moment braucht sie vor allem Ruhe. Eine Krankenschwester schaut nach ihr, und ich habe ihr Luminal verschrieben, um sie ein, zwei Tage ruhigzuhalten. Danach werden wir dann weitersehen.«
Er wechselte ein paar Worte mit Peter Baker-Hyde, nickte mir dann zu und machte sich auf den Weg zu weiteren Hausbesuchen. Ich blieb in der Eingangshalle am Fuße der Treppen stehen; ich fühlte mich immer noch ein wenig unbehaglich in meiner Situation, hoffte aber, dass ich selbst einen Blick auf das Mädchen werfen könnte. Ihr Vater gab mir allerdings zu verstehen, dass er ihr lieber ihre Ruhe lassen würde. Er schien mir zwar aufrichtig dankbar für meine Hilfe zu sein – »Gott sei Dank, dass Sie gestern Abend da waren«, sagte er und nahm meine Hand in seine beiden Hände –, doch dann bewegte er seinen Arm zu meiner Schulter empor und führte mich höflich, aber bestimmt zur Tür. Es war deutlich, dass man mich vollständig von dem Fall entbunden hatte.
»Schicken Sie mir die Rechnung?«, meinte er, während er mich zu meinem Auto führte. Und als ich erwiderte, dass ich ihm selbstverständlich nichts berechnen würde, bestand er darauf, mir ein paar Guineas zu geben. Dann fiel ihm das Benzin ein, das ich bei meinen beiden Fahrten nach Standish verbraucht hatte, und er beauftragte einen seiner Gärtner, einen Kanister Benzin zu holen. Eine großzügige, fast verschwenderische Geste, die aber trotzdem irgendwie abweisend wirkte. Ich hatte das ungute Gefühl, dass er mich von meiner Arbeit loskaufen wollte. Schweigend standen wir im Nieselregen, während der Gärtner meinen Tank auffüllte, und ich dachte mir, was es doch für ein Jammer sei, dass ich nicht einfach kurz ins obere Stockwerk schlüpfen und selbst einen Blick auf das Mädchen werfen konnte. Das wäre mir erheblich lieber gewesen als Geld oder Benzin.
Erst als ich ins Auto stieg, kam mir der Gedanke, ihn zu fragen, ob er die Familie auf Hundreds schon hatte wissen lassen, dass es Gillian besser ginge. Daraufhin wurde sein Verhalten nur noch abweisender als zuvor.
»Die!«, sagte er und hob verächtlich das Kinn. »Die werden noch von uns hören. Wir werden die Sache verfolgen, da können Sie sicher sein.«
Ich hatte schon fast damit gerechnet, war aber dennoch bestürzt über die Bitterkeit in seiner Stimme. »Wie meinen Sie das?«, fragte ich ihn. »Haben Sie die Polizei eingeschaltet?«
»Noch nicht, aber wir haben es vor. Das Mindeste, was wir erwarten, ist, dass der Hund eingeschläfert wird.«
»Aber Gyp ist doch bloß ein harmloser alter Kerl.«
»Und offenbar wird er senil!«
»Soweit ich das einschätzen kann, war dieser Vorfall absolut
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