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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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Rande wahr, da ich damit beschäftigt war, dass starre Kind auf meinem Arm sicher durch die Tür und dann um ein paar Ecken bis zur Treppe ins Untergeschoss zu befördern. Und als ich erst einmal die Stufen hinunterging, wurden die erhobenen Stimmen immer schwächer. In der Küche war Betty gerade dabei, das Wasser heiß zu machen, um das ich sie gebeten hatte. Auch Decken und Kissen hatte sie hergebracht und räumte nun, meinen Anweisungen folgend, mit zitternden Händen den Küchentisch ab und legte Packpapier darauf. Ich legte Gillian ab, hüllte die Decken um sie und öffnete dann meine Tasche, um meine Instrumente vorzubereiten. Ich war so in meine Aufgabe vertieft, dass ich, als ich mein Jackett auszog und die Ärmel hochrollte, um mir die Hände zu waschen, ganz erstaunt war, dass ich ein Abendjackett trug. Ich hatte völlig vergessen, wo ich gerade war, und gedacht, dass ich mein normales Tweedjackett trüge.
    Tatsächlich war ich des Öfteren gezwungen, solche kleinen Operationen vorzunehmen, entweder in meiner Praxis oder auch zu Hause bei meinen Patienten. Mit Mitte zwanzig wurde ich mal zu einem Bauernhof gerufen, wo ich einen jungen Mann mit grässlich verstümmeltem Bein vorfand, ein Unfall mit einer Dreschmaschine: Ich musste das Bein unterhalb des Knies amputieren, am Küchentisch, einfach so. Die Familie lud mich ein paar Tage später zum Abendessen ein, und wir saßen an dem gleichen Tisch, der inzwischen von den Blutflecken gereinigt war – und der junge Mann saß mitten unter uns, zwar blass, aber er aß mit gutem Appetit seinen Pie und machte Witze darüber, dass er nun kein unnötiges Geld mehr für Stiefelleder ausgeben musste. Doch das waren Leute vom Land gewesen, an Ungemach und Entbehrungen gewöhnt. Für die Baker-Hydes hingegen muss es schrecklich ausgesehen haben, als ich Nadel und Faden in Karbol tränkte und mir Knöchel und Fingernägel mit einer Gemüsebürste schrubbte. Vermutlich beunruhigte sie schon die Küche als solche mit ihrer klobigen viktorianischen Ausstattung, den Steinplatten am Boden und dem Ungetüm von Herd. Und nach dem übermäßig hellen Salon kam einem der Raum umso düsterer vor. Ich ließ Mr. Baker-Hyde eine Öllampe aus der Speisekammer bringen und stellte sie dicht neben das Gesicht seiner Tochter, damit ich genug Licht zum Nähen hatte.
    Wäre das Mädchen älter gewesen, hätte ich es bei einem Sprühstoß Ethylchlorid bewenden lassen, um die Wunde zu vereisen. Doch ich hatte Sorge, dass sie sich drehen und winden würde, und nachdem ich die Wunde mit Wasser und Jod gereinigt hatte, versetzte ich das Mädchen mit einem Anästhetikum in eine Art leichten Schlaf. Ich wusste jedoch, dass die Operation ihr trotzdem Schmerzen bereiten würde. Ich riet ihrer Mutter, zurück zu den anderen Gästen in den Salon zu gehen, denn wie nicht anders zu erwarten, gab das arme kleine Mädchen die ganze Zeit über, während ich an ihr arbeitete, ein schwaches Wimmern von sich, und die Tränen flossen ihr unablässig aus den Augen. Wenigstens brauchte ich mich nicht um irgendwelche verletzten Arterien zu kümmern, das war schon mal ein Segen, doch das zerrissene Fleisch machte die Arbeit schwieriger, als mir lieb war. Meine Hauptsorge war, wie ich die Narbenbildung möglichst gering halten konnte, denn ich wusste, dass sie selbst bei den sorgfältigsten Korrekturen groß sein würde. Der Vater des Mädchens saß am Tisch, hielt ihre Hand fest und zuckte bei jedem Einstich der Nadel zusammen. Trotzdem wandte er den Blick nicht ab und schaute mir bei meiner Arbeit zu, als rechne er mit einem Fehler und müsse mich kontrollieren. Ein paar Minuten nachdem ich begonnen hatte, tauchte sein Schwager auf, das Gesicht purpurrot von dem Streit mit Caroline. »Verdammt, was sind das für Leute?«, sagte er. »Die Tochter ist ja völlig verrückt!« Dann sah er, was ich gerade machte, und die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Er zündete sich eine Zigarette an und setzte sich zum Rauchen ein Stück abseits vom Tisch. Bald darauf – und das war das einzig Vernünftige, was er den ganzen Abend getan hatte – brachte er Betty dazu, uns einen Tee zu kochen und die Tassen zu verteilen.
    Die anderen blieben oben und versuchten die Mutter des Mädchens zu trösten. Mrs. Ayres kam einmal herunter und erkundigte sich, wie es voranging; sie blieb einen Moment stehen und sah mir bei meiner Arbeit zu, voller Sorge um das Kind und sichtlich um Fassung ringend, als sie mich nähen sah. Peter

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