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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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verdüsterte und er den Kopf abwandte, als sei er unwillig, mir zu antworten. Tatsächlich machte ich mir in diesem Moment beinahe mehr Sorgen um ihn als um Caroline. Dass die Geschichte mit Gyp und den Baker-Hydes bei ihr Spuren hinterlassen hatte, war nur verständlich, doch sie schien auch auf Rod eine verheerende Wirkung gehabt zu haben, was mich etwas wunderte. Nicht nur, dass er gedankenverloren und verschlossen wirkte und viel zu viel Zeit mit der Arbeit in seinem Zimmer verbrachte – das hatte er seit Monaten schon. Da war noch etwas – irgendetwas schien ihn zu beschäftigen oder ihm gar Angst einzujagen, das konnte ich an seiner Miene ablesen.
    Ich hatte nicht vergessen, was seine Mutter mir über seinen Zustand am Abend der Gesellschaft erzählt hatte, und es schien mir, als hätte dieses neue, merkwürdige Verhalten auch an jenem Abend seinen Anfang genommen. Ich hatte mehrmals behutsam versucht, ihn darauf anzusprechen, doch jedes Mal war es ihm gelungen, mich entweder durch Schweigen oder Ausflüchte vom Thema abzulenken. Vielleicht hätte ich ihm einfach keine weitere Beachtung schenken sollen. Zweifellos hatte ich auch so genug zu tun, denn das kalte Wetter hatte wie gewöhnlich zu allerlei typischen Winterleiden geführt, so dass ich von einem Hausbesuch zum nächsten fahren musste. Doch es widerstrebte meinem ärztlichen Instinkt, das Thema einfach ruhen zu lassen, und außerdem fühlte ich mich der Familie inzwischen stark verbunden, viel stärker noch als vor drei oder vier Wochen. Als ich ihm die Elektrodenplatten angelegt und die Induktionsspule gestartet hatte, teilte ich ihm daher ganz offen mit, wie beunruhigt ich sei.
    Seine Reaktion entsetzte mich.
    »Also das versteht meine Mutter unter vertraulicher Behandlung!«, sagte er wütend und rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her. »Na ja, wahrscheinlich hätte ich damit rechnen müssen! Und was genau hat sie Ihnen erzählt? Dass ich eine Panikattacke hatte?«
    »Sie hat sich Sorgen um Sie gemacht.«
    »Mein Gott! Ich hatte bloß keine Lust, auf so einer blöden Gesellschaft zu erscheinen! Ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen. Ich habe in meinem Zimmer gesessen und etwas getrunken. Dann bin ich ins Bett gegangen. Ist das etwa ein Verbrechen?«
    »Natürlich nicht, Rod. Nur, so, wie sie es mir beschrieben hat …«
    »Herrgott noch mal. Sie übertreibt eben! Sie bildet sich dauernd irgendwelche Sachen ein! Aber das, was wirklich vor ihrer Nase passiert … Ach, vergessen Sie’s! Wenn sie meint, dass ich kurz davor bin, den Verstand zu verlieren, dann lassen Sie sie doch. Sie hat ja keine Ahnung! Keiner kann sich das vorstellen! Wenn Sie wüssten, was …«
    Er unterbrach sich. Verblüfft über seine Heftigkeit fragte ich: »Wenn wir was wüssten?«
    Er blieb einen Moment starr sitzen und kämpfte sichtlich mit seinen Gefühlen. Dann rief er wieder: »Ach, vergessen Sie’s!«, beugte sich abrupt vor und riss an den Drähten, die von der Spule zu seinem Bein führten. »Und das hier können Sie auch vergessen! Ich hab genug davon! Das bringt doch gar nichts!«
    Die Elektroden sprangen aus ihren Befestigungen und fielen zu Boden. Er zerrte sich die Bänder vom Bein, erhob sich dann unbeholfen und ging – immer noch barfuß und mit hochgerolltem Hosenbein – zu seinem Schreibtisch und kehrte mir den Rücken zu.
    Für diesen Tag ließ ich es mit der Behandlung gut sein und überließ ihn seiner schlechten Laune. In der folgenden Woche schien er sich wieder einigermaßen beruhigt zu haben, entschuldigte sich für sein Benehmen, und wir führten die Behandlung wie gewöhnlich durch. Bei meinem nächsten Besuch gab es allerdings wieder etwas Neues: Als ich eintraf, hatte er einen Schnitt auf dem Nasenrücken und ein blaues Auge.
    »Jetzt schauen Sie mich nicht so an!«, sagte er, als er meinen Gesichtsausdruck sah. »Caroline hat schon den ganzen Morgen an mir herumgemacht. Sie wollte mir Schinkenscheiben auflegen und was weiß ich nicht noch alles!«
    Ich warf seiner Schwester einen Blick zu – sie saß bei ihm im Zimmer und hatte wohl auf mich gewartet –, dann trat ich zu ihm hin, nahm sein Gesicht in die Hände und drehte es in Richtung Fenster.
    »Was um alles in der Welt ist denn da passiert?«
    »Eine ganz blöde Geschichte«, sagte er und entwand sich gereizt meinem Griff. »Es ist mir schon fast peinlich, es zu erzählen. Ich bin nachts aufgewacht und wollte zur Toilette, und irgendein Idiot – das heißt wohl ich selbst –

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