Der Besucher - Roman
über ihn sprach, aber auch weil er den Schmerz in ihrer Stimme hörte, blickte sie voller Vertrauen und Besorgnis an, dann erhob er sich auf die Vorderbeine und stupste ihr mit der Schnauze ins Gesicht.
»Du dummer Hund!«, sagte sie und erlaubte ihm, ihr das Gesicht zu lecken. Dann schob sie ihn weg. »Dr. Faraday will dich mitnehmen, verstehst du das denn nicht?«
Ich fragte: »Soll ich es hier machen?«
»Nein, das möchte ich nicht. Ich will nicht dabei zusehen. Nehmen Sie ihn mit nach unten und machen Sie es dort. Los, Gyp, geh mit.« Und sie schubste ihn fast grob in meine Richtung, so dass er von der Ottomane auf den Boden herunterstolperte. »Los, geh!«, sagte sie noch einmal, als er zögerte. »Du dummes Viech! Dr. Faraday will dich mitnehmen, hab ich dir doch gesagt. Los, geh schon!«
Und so folgte Gyp mir treuherzig. Nach einem letzten Blick auf Caroline führte ich ihn aus dem Zimmer und schloss leise die Tür hinter mir. Er folgte mir durchs Haus bis in die Küche, und ich brachte ihn in die Spülküche, wo er sich auf einen alten Teppich legen sollte. Er schien zu begreifen, dass die Situation irgendwie außergewöhnlich war, denn Caroline achtete sonst sehr streng darauf, dass er feste Gewohnheiten einhielt; andererseits hatte er sicherlich gespürt, dass im Haus große Aufregung herrschte, und vielleicht ahnte er sogar, dass er der Grund dafür war. Ich fragte mich, welche Gedanken wohl in seinem Hundekopf herumgingen – ob er Erinnerungen an die Abendgesellschaft hatte und reflektieren konnte, was er getan hatte; ob er gar Schuldgefühle hatte oder sich schämte. Doch als ich ihm in die Augen blickte, schien es mir, als ob ich dort nur eine große Verwirrung sah, und nachdem ich meine Tasche geöffnet und alles Nötige herausgenommen hatte, tätschelte ich seinen Kopf und sagte zu ihm, wie schon einmal: »Das ist ja eine schöne Bescherung, Gyp. Aber mach dir keine Sorgen. Du bist ein braver alter Hund.« Ich fuhr fort, ihm allerlei beruhigende Floskeln ins Ohr zu murmeln, und hielt meinen Arm unter seine Schultern, so dass er, nachdem die Spritze ihre Wirkung zeigte, auf meine Hand niedersank; dann spürte ich auf meiner Handfläche, wie sein Herzschlag schwächer wurde und schließlich ganz versiegte.
Mrs. Ayres hatte mir gesagt, dass Barrett ihn begraben würde, deshalb bedeckte ich ihn mit dem alten Teppich, dann wusch ich mir die Hände und ging in die Küche zurück. Mrs. Bazeley war gerade eingetroffen und band sich ihre Schürze um. Als ich ihr erzählte, was ich getan hatte, schüttelte sie bekümmert den Kopf.
»Is das nich ein Jammer?«, sagte sie. »Ohne den alten Hund wird das Haus einfach nich mehr dasselbe sein. Können Sie sich das erklären, Herr Doktor? Ich kenn das Tier schon sein Leben lang, und ich hätt drauf schwören können, dass er so harmlos is wie ein Lämmchen. Ich hätt ihm ohne zu zögern mein eigenes Enkelkind anvertraut, jawoll, das hätt ich.«
»Ja, das hätte ich auch, Mrs. Bazeley«, erwiderte ich niedergeschlagen, »wenn ich eins hätte.«
Doch schließlich stand da immer noch der Küchentisch und erinnerte mich an den schrecklichen Abend, der noch gar nicht so lange zurücklag. Und da war auch Betty – ich hatte sie zuerst gar nicht bemerkt. Sie stand halb verborgen hinter einer Tür, die in einen der Küchenflure führte, und war dabei, einen Stapel sauberer Geschirrtücher zu falten. Doch sie bewegte sich merkwürdig steif und ruckartig, ihre schmalen Schultern schienen zu zucken, und mir wurde klar, dass sie weinte. Als sie sah, dass ich sie betrachtete, weinte sie noch stärker. Mit einer Heftigkeit, die ich von ihr nicht erwartet hätte, rief sie aus: »Der arme alte Hund, Doktor Faraday! Alle geben ihm die Schuld, dabei hat er gar keine Schuld! Es is nich gerecht!«
Ihre Stimme versiegte, und Mrs. Bazeley nahm sie tröstend in die Arme.
»Na, na, na«, sagte sie und tätschelte Betty den Rücken. »Da könn Sie mal sehen, wie sehr uns die ganze Sache mitgenommen hat. Wir wissen gar nich mehr, wo uns der Kopf steht. Betty hat sich da so was innen Kopf gesetzt – ich weiß ja auch nich.« Sie sah verlegen aus. »Sie meint, es wär irgendwas Seltsames dran, dass das kleine Mädchen gebissen wurde, irgendwas wär nich ganz geheuer dran.«
Ich erwiderte: »Nicht ganz geheuer? Was um alles in der Welt meinst du denn damit?«
Betty hob den Kopf von Mrs. Bazeleys Schulter und sagte: »Da is was Böses in diesem Haus. Irgendwas Böses is da, und
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