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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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sein.«
    Ich trat wieder zur Tür und fuhr mit den Fingern über den dunklen Fleck. Er hinterließ weder Ruß noch irgendeinen Geruch an meinen Fingern, und die Oberfläche fühlte sich ziemlich glatt an. Je länger ich ihn jedoch betrachtete, desto mehr kam es mir vor, als hätte der Fleck eine Art Patina oder feinen Belag, ganz so, als sei er gleich unter der Oberfläche des Holzes entstanden.
    »Kann das nicht schon längere Zeit hier gewesen sein, ohne dass Sie es bemerkt haben?«, fragte ich.
    »Das glaube ich kaum. Ich denke, es wäre mir doch wohl beim Öffnen und Schließen der Tür aufgefallen. Und wissen Sie noch, wie Sie Rods Bein zum ersten Mal behandelt haben? Da habe ich auch ungefähr an dieser Stelle gestanden und mich über den Zustand der Paneele beklagt. Und da gab es den Fleck noch nicht, da bin ich mir sicher … Betty kann sich den Fleck auch nicht erklären. Und Mrs. Bazeley auch nicht.«
    Dass sie Betty erwähnte, stimmte mich nachdenklich. »Sie haben Betty hierhergebracht und ihr den Fleck gezeigt?«, erkundigte ich mich.
    »Ich habe sie heimlich hergebracht, ja. Sie war genauso verwundert über den Fleck wie Sie.«
    »War sie das wirklich? Könnte es nicht sein, dass sie den Fleck irgendwie verursacht hat, sich dann aber nicht getraut hat, es zuzugeben? Vielleicht ist sie mit einer Öllampe in der Hand zu dicht an der Tür vorbeigegangen? Oder vielleicht hat sie etwas verschüttet? Irgendein Reinigungsmittel?«
    »Reinigungsmittel?«, meinte Caroline. »Im Küchenschrank haben wir doch bloß Brennspiritus und Flüssigseife; was Stärkeres gibt es hier gar nicht. Das weiß ich genau, schließlich musste ich oft genug selbst damit putzen. Nein, Betty hat manchmal ihre Launen, aber ich glaube nicht, dass sie eine Lügnerin ist. Und im Übrigen bin ich gestern noch mal hier reingegangen, als Rod nicht da war, und habe mich umgeschaut. Ich konnte auch erst nichts Ungewöhnliches feststellen, bis ich nach oben geschaut habe.«
    Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte nach oben, und ich tat es ihr nach. Der Fleck sprang mir sofort ins Auge. Diesmal war er an der Decke – an der nikotingelb verfärbten Stuckdecke aus Gitterwerk. Es war ein kleiner, unförmiger dunkler Fleck, genau wie der an der Tür, und wieder sah es so aus, als hätte dort jemand eine Flamme oder ein Bügeleisen hingehalten, lange genug, um den Gips zu versengen, aber nicht so lange, dass er von der Hitze Blasen warf.
    Caroline sah mich an, als warte sie auf meine Reaktion. »Ich frage mich wirklich, wie es möglich sein soll, dass selbst ein extrem achtloses Zimmermädchen einen Brandfleck an der Decke verursacht, mehr als drei Meter über dem Boden.«
    Ich schaute sie einen Moment an, dann ging ich durch das Zimmer, bis der Fleck genau über mir war. »Ist es wirklich genauso ein Fleck wie der andere?«, fragte ich, während ich mit zusammengekniffenen Augen nach oben schaute.
    »Ja, ich habe sogar die Trittleiter geholt und bin hochgestiegen, um nachzuschauen. Der Fleck dort oben ist eher noch schlimmer. Doch unter der Stelle steht nichts, was den Fleck hätte verursachen können – nur Rods Waschtisch, wie Sie sehen. Selbst wenn er die Petroleumlampe daraufgestellt hätte … Der Abstand ist doch viel zu groß …«
    »Und es ist auch bestimmt ein Brandfleck? Könnte es nicht auch … ich weiß ja nicht … vielleicht eine Art chemische Reaktion sein?«
    »Eine chemische Reaktion, die antike Eichenpaneele und Stuckdecken ganz von allein vor sich hin schwelen lässt? Mal ganz davon abgesehen, was ich sonst noch gefunden habe… Schauen Sie mal hier.«
    Mit einem leichten Schwindelgefühl folgte ich ihr zum Kamin, und sie deutete auf die schwere viktorianische Ottomane, die auf der einen Seite des Kamins stand – gegenüber der Seite, wo sich die Kiste mit dem Anmachholz befand. Tatsächlich wies das Leder ebenfalls einen kleinen dunklen Fleck auf, genau wie die Tür und die Zimmerdecke.
    »Das ist nun wirklich zu viel, Caroline«, sagte ich. »Die Ottomane kann doch schon seit Jahren einen Fleck haben. Vielleicht ist mal ein Funken vom Kamin herübergesprungen. Auch der Fleck an der Decke kann übrigens schon lange dort sein. Ich glaube nicht, dass er mir vorher aufgefallen wäre.«
    »Vielleicht haben Sie ja recht«, meinte sie. »Hoffentlich. Aber finden Sie es nicht irgendwie merkwürdig, dass die Flecken ausgerechnet auf diesem Polsterschemel und der Tür sind? Die Tür, gegen die Rod in der Nacht gelaufen ist,

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