Der Besucher - Roman
nächsten Tage machte ich mir weiterhin Gedanken über Rods Zustand. An einem Nachmittag zu Beginn der folgenden Woche fügte sich das Ganze dann zu einem schlüssigen Bild – oder fiel auseinander, je nachdem, wie man es betrachten will. Ich war gegen fünf Uhr auf dem Rückweg zu meiner Praxis, als ich zu meinem Erstaunen Rod auf der High Street von Lidcote erblickte. Noch vor einiger Zeit wäre seine Anwesenheit dort nicht verwunderlich gewesen, denn früher kam er oft nach Lidcote, um landwirtschaftliche Angelegenheiten zu regeln. Aber wie Caroline gesagt hatte, verließ er Hundreds im Augenblick kaum noch, und obwohl er in Mantel und Tweedmütze, mit dem Riemen eines Tornisters quer über der Brust, noch immer wie ein junger Landedelmann aussah, wirkte er zweifelsohne wie ein Mensch, der eine große Last trug und sich äußerst unbehaglich fühlte. Er ging leicht vorgebeugt mit gesenkten Schultern und hatte den Kragen hochgeschlagen, als wolle er sich nicht nur vor dem kühlen Novemberwind schützen. Als ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite anhielt, das Fenster herunterkurbelte und ihm eine Begrüßung zurief, fuhr er zusammen und blickte sich aufgeschreckt nach mir um, und einen Moment lang erschien er mir völlig verängstigt, wie ein gejagtes Kaninchen.
Doch dann kam er langsam zu meinem Auto herüber, und ich erkundigte mich, was ihn in den Ort geführt hatte. Er erzählte, dass er sich mit Maurice Babb getroffen habe, dem aufstrebenden Bauunternehmer hier vor Ort. Der Grafschaftsrat hatte den Ayres kürzlich die letzte freie Parzelle Ackerland abgekauft; man hatte vor, dort eine Neubausiedlung zu errichten, mit Babb als Bauunternehmer. Rod und er waren gerade den endgültigen Vertrag durchgegangen.
»Er bestellt mich in sein Büro ein wie einen Lieferanten!«, sagte Rod verbittert. »Unvorstellbar, dass dieser Mensch meinem Vater so etwas vorgeschlagen hätte! Aber er weiß natürlich, dass ich komme. Er weiß genau, dass ich gar keine andere Wahl habe!«
Er zog die Aufschläge seines Mantels zusammen und sah wieder äußerst elend und niedergedrückt aus. Was den Verkauf des Landes betraf, fielen mir kaum tröstende Worte ein, die ich ihm hätte sagen können. Tatsächlich freute ich mich eher, vom Bau der neuen Häuser zu hören, die in unserer Gegend bitter benötigt wurden. Doch dann dachte ich wieder an sein Bein und fragte: »Sie sind doch wohl nicht hergelaufen?«
»Nein, nein«, erwiderte er. »Barrett hat es geschafft, mir etwas Benzin zu besorgen, und ich bin hergefahren.«
Er deutete mit dem Kinn die Hauptstraße hinunter, und ich entdeckte ein Stück weiter unten das unverwechselbare Automobil der Ayres, einen schäbigen alten Rolls-Royce in Schwarz und Elfenbein. Er sagte: »Auf dem Weg hierher habe ich schon befürchtet, dass die Kiste den Geist aufgeben würde. Das hätte mir gerade noch gefehlt! Aber zum Glück hat sie durchgehalten.«
Nun klang er wieder, als wäre er ganz der Alte. »Dann hoffen wir mal, dass sie Sie auch noch gut nach Hause bringt!«, meinte ich. »Sie haben es doch nicht eilig, oder? Kommen Sie doch noch kurz zu mir rein und wärmen sich ein bisschen auf.«
»Nein, das geht nicht.«
»Warum nicht?«
Er wich meinem Blick aus. »Ich will Sie doch nicht von Ihrer Arbeit abhalten.«
»Ach, Unsinn. Es dauert noch fast eine Stunde, bis die Abendsprechstunde anfängt, und bis dahin habe ich ohnehin nichts zu tun. Ich habe Sie in letzter Zeit kaum gesehen. Kommen Sie doch mit.«
Offensichtlich widerstrebte es ihm zwar mitzukommen, doch mit sanftem Druck gelang es mir schließlich, ihn zu überzeugen – »aber nur für ein paar Minuten«, wie er sagte. Ich parkte mein Auto und traf ihn vor meiner Haustür. Da im Obergeschoss nicht geheizt war, führte ich ihn in die Arzneiausgabe; ich holte einen Stuhl hinter der Theke hervor und rückte ihn zusammen mit einem zweiten dicht vor den alten Kanonenofen, der gerade noch genug Glut hatte, dass ich ihn wieder anfachen konnte. Ich verbrachte einige Zeit damit, das Feuer in Gang zu bringen, und als ich mich wieder aufrichtete, hatte Rod seine Kappe abgenommen, den Tornister abgestellt und sah sich im Zimmer um. Er musterte die Regale, in denen noch einige der altmodischen Glasgefäße und Instrumente standen, die ich von Dr. Gill übernommen hatte.
Zu meiner Erleichterung schien sich seine Stimmung ein wenig gebessert zu haben. Er sagte: »Hier ist ja auch das furchtbare Blutegelgefäß, von dem ich als Kind immer
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