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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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einen feindlichen Flieger auf sich zukommen, eine Maschine mit einem Mann darin, der sein Äußerstes gibt, einen abzuschießen. Ein Kampf Mann gegen Mann, eine vergleichsweise faire, berechenbare Angelegenheit. Das hier war dagegen hinterhältig, gemein und irgendwie unlauter. Ich hätte ihm nicht mit einer Schusswaffe begegnen können. Ich hätte weder Messer noch Schürhaken erheben können, denn womöglich wären das Messer oder der Schürhaken in meiner Hand ebenfalls zum Leben erwacht. Ich hatte das Gefühl, als ob die Wolldecken, auf denen ich saß, sich plötzlich in die Luft erheben und mich erdrosseln könnten!«
    Er hatte seine Wache über einen Zeitraum von vielleicht dreißig Minuten aufrechterhalten – doch »ebenso gut hätten es tausend sein können«, wie er sagte. Zitternd hatte er in äußerster Anspannung dagesessen und versucht, das Böse abzuwehren, doch schließlich war es zu viel für ihn geworden, und er hatte die Nerven verloren. Er hatte sich selbst schreien gehört, dass das Ding ihn in Ruhe lassen solle, ihn endlich in Ruhe lassen solle. Der Klang seiner Stimme hatte ihn selbst entsetzt, doch vielleicht hatte sein Schreien eine Art Bann gebrochen. Er spürte sofort, dass sich etwas veränderte – dass das schreckliche Ding verschwunden war. Er betrachtete die Gegenstände um sich herum. »Ich kann es nicht erklären«, meinte er. »Ich habe keine Ahnung, woher ich es wusste. Doch ich wusste plötzlich, dass es wieder ganz normale, unbelebte Gegenstände waren.« Fix und fertig mit den Nerven, trank er ein »ordentliches Glas Brandy«, legte sich unter die Bettdecken und rollte sich zusammen wie ein Baby. Wie gewöhnlich wirkte sein Zimmer so gedämmt, als sei es vom Rest des Gebäudes isoliert. Wenn es zu jenem Zeitpunkt Geräusche vor seiner Tür gab, Schritte oder aufgeregtes Murmeln, dann hörte er sie entweder nicht oder war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Er fiel in einen unruhigen Schlaf und wurde zwei Stunden später von Caroline geweckt. Sie wollte nachschauen, wie es ihm ging, und ihm erzählen, was mit Gyp und Gillian geschehen war. Er hörte sich ihre Geschichte mit wachsendem Grauen an, während ihm bewusst wurde, dass das kleine Mädchen offenbar etwa zum selben Zeitpunkt gebissen worden war, als er das böse Etwas in seinem Zimmer angeschrien hatte, es solle ihn in Ruhe lassen.
    Er blickte mich brennenden, entzündet aussehenden Augen an und sagte: »Verstehen Sie? Alles war meine Schuld! Ich habe dieses Etwas dazu gebracht, aus meinem Zimmer zu verschwinden, aus purer Feigheit, und dann ist es dorthin gegangen, um jemand anderem zu schaden. Das arme Kind! Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich doch alles ausgestanden – egal was!« Er wischte sich den Mund ab, dann riss er sich zusammen und sprach etwas weniger erregt weiter. »Doch seitdem bin ich auf der Hut gewesen, das kann ich Ihnen versichern! Wenn es jetzt kommen sollte, dann bin ich gewappnet. Die ganze Zeit habe ich Wache gehalten. Die meisten Tage sind in Ordnung. An den meisten Tagen lässt es sich gar nicht blicken. Doch es überrumpelt mich gern. Es ist genau wie ein gerissenes, hinterhältiges Kind. Es stellt mir Fallen. Neulich hat es meine Zimmertür geöffnet, damit ich dagegenlaufe und mir eine blutige Nase hole. Es verlegt meine Papiere; es stellt mir Sachen in den Weg, damit ich darüber stolpere und mir das Genick breche. Das ist mir egal. Von mir aus soll es mit mir machen, was es will. Solange ich es dazu bringen kann, dass es in meinem Zimmer bleibt, kann ich die Ansteckung wenigstens eindämmen, verstehen Sie? Das ist im Moment das Wichtigste, finden Sie nicht auch? Die Infektionsquelle von meiner Schwester und meiner Mutter fernzuhalten.«

6
     
     
     
     
     
     
    I n meiner Karriere als Arzt hat es oftmals Momente gegeben, in denen ich mir bei der Untersuchung eines Patienten oder angesichts eines Testergebnisses eingestehen musste, dass es sich um einen hoffnungslosen Fall handelte. Ich erinnere mich da zum Beispiel an eine jungverheiratete Frau, die gerade schwanger geworden war und mich wegen eines Sommerhustens aufsuchte: Ich weiß noch genau, wie ich das Stethoskop an ihre Brust hielt und die ersten schwachen, aber verheerenden Anzeichen einer Tuberkulose hörte. Gut kann ich mich auch noch an den hübschen, talentierten Jungen erinnern, der mit »wachsenden Schmerzen« zu mir gebracht wurde – tatsächlich handelte es sich um einen Muskelschwund, der ihn innerhalb von

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