Der Besucher - Roman
dass ich verrückt bin«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
»Ich glaube, dass du mal eine Pause brauchst«, erwiderte Caroline. »Ein bisschen Erholung – du musst einfach mal eine Zeit lang weg von hier.«
»Weg von hier? Du bist genauso schlimm wie er! Warum will mich bloß jeder von hier weghaben?«
»Wir wollen dir doch bloß helfen. Wir glauben, dass du krank bist und eine Behandlung brauchst. Stimmt es, dass du … Erscheinungen gesehen hast?«
Er senkte den Blick und murmelte ungeduldig: »Mein Gott, es ist genau wie nach meinem Absturz! Soll ich wieder beobachtet werden, rund um die Uhr beobachtet werden, und alle machen ein Riesengetue und bemuttern mich wie ein Kleinkind?«
»Bitte sag es mir, Rod! Stimmt es, dass du glaubst, dass in unserem Haus irgendetwas Merkwürdiges ist? Irgendetwas, was dir schaden will?«
Er antwortete nicht sofort. Doch dann hob er den Blick, sah sie an und fragte leise: »Was glaubst du denn?«
Zu meiner Überraschung schien sie vor irgendetwas in seinem Blick zurückzuschrecken.
»Ich … Ich weiß nicht, was ich denken soll. Aber ich habe Angst um dich, Rod.«
»Angst um mich? Ihr solltet auch Angst haben, alle beide. Aber nicht um mich. Und auch nicht vor mir, falls euch das beunruhigt. Versteht ihr denn nicht? Ich bin alles, was dieses Haus noch zusammenhält!«
»Ich weiß, dass Ihnen das so vorkommen muss, Rod«, sagte ich. »Wenn Sie nur zulassen würden, dass wir Ihnen helfen …«
»Wenn das Ihre Vorstellung von Hilfe ist! Sofort zu meiner Schwester rennen, wo Sie mir doch versprochen haben …!«
»Das ist meine Vorstellung von Hilfe, ja! Denn ich habe mir die ganze Sache durch den Kopf gehen lassen, und ich glaube nicht, dass Sie in der Lage sind, sich selbst zu helfen!«
»Aber verstehen Sie denn nicht? Ich begreife nicht, wie Sie es immer noch nicht verstehen können, nach allem, was ich Ihnen gestern erzählt habe. Ich denke doch dabei nicht an mich ! Mein Gott! Ich habe nie Anerkennung für die Arbeit bekommen, die ich für diese Familie geleistet habe – nicht einmal jetzt, wo ich mich zu Tode schufte. Vielleicht sollte ich einfach alles sein lassen. Einfach mal die Augen schließen! Einfach mal wegsehen! Dann werden wir ja sehen, was passiert!«
Nun klang er beinahe trotzig, wie ein Junge, der sein schlechtes Schulzeugnis herunterreden will. Er verschränkte die Arme und zog die Schultern hoch, und plötzlich schien die Situation, die eben noch so düster und bedrohlich wirkte, ihren Schrecken zu verlieren. Ich bemerkte, dass Caroline mich zum ersten Mal mit leisem Zweifel anblickte, trat einen Schritt vor und drängte: »Rod, bitte verstehen Sie doch. Wir machen uns furchtbare Sorgen. Das kann so nicht weitergehen.«
»Ich will nicht mehr darüber reden«, sagte er entschieden. »Es hat keinen Zweck.«
»Ich glaube, dass Sie wirklich krank sind, Rod. Wir müssen herausfinden, worin genau Ihre Krankheit besteht, damit wir Sie heilen können.«
»Das Einzige, was mich krank macht, Herr Doktor, sind Sie und Ihre ewige Neugier! Wenn Sie mich einfach in Ruhe lassen würden – wenn Sie uns einfach alle in Ruhe ließen …! Aber Sie und Caroline haben ja immer schon unter einer Decke gesteckt. Schon dieser ganze Quatsch mit meinem Bein … Ich würde dem Krankenhaus einen Gefallen tun und so weiter …«
»Wie kannst du das bloß sagen«, meinte Caroline, »wo Dr. Faraday doch so liebenswürdig war!«
»Und jetzt ist er auch liebenswürdig?«
»Rod, bitte!«
»Ich habe es dir doch schon gesagt, ich will nicht mehr darüber sprechen!«
Er drehte sich um, riss die schwere alte Tür der Bibliothek auf und verließ den Raum. Dann knallte er die Tür so fest hinter sich zu, dass aus einem Riss in der Decke eine feine Staubwolke herabrieselte und zwei der Laken von den Bücherregalen rutschten und in einem Haufen auf dem Boden landeten.
Caroline und ich blickten uns hilflos an, dann gingen wir langsam zu den Regalen hinüber, um die Laken wieder aufzuheben.
»Was können wir bloß tun?«, fragte sie mich, während wir die Laken wieder befestigten. »Wenn es wirklich so schlimm um ihn steht, wie Sie sagen, und er sich einfach nicht helfen lassen will …?«
»Ich weiß es auch nicht«, erwiderte ich. »Ich weiß es wirklich nicht. Wir können ihn nur beobachten, wie ich vorhin schon gesagt habe, und versuchen, sein Vertrauen wiederzugewinnen. Ein Großteil davon wird wohl Ihnen überlassen bleiben, fürchte ich.«
Sie nickte, dann blickte sie
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