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Der Besucher - Roman

Der Besucher - Roman

Titel: Der Besucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Waters
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umgestellt vielleicht? Dinge hingestellt, wo sie nicht hingehören?«
    »Ich hab nix gemacht!«, beharrte sie. »Und ich hab auch nix gesagt! Ich will sowieso gar nich an diese Sache denken. Es macht mir Angst, wenn ich da unten allein bin! Es is nich mein böses Ding, sagt Mrs. Bazeley. Wenn ich’s in Ruhe lasse, dann lässt’s mich auch in Ruhe, sagt sie.«
    Und damit musste ich mich wohl oder übel zufrieden geben. Sie fuhr fort, den Teppich abzukehren. Ich betrachtete sie noch einen Moment, dann verließ ich das Haus.
     
    Im Laufe der beiden nächsten Wochen sprach ich mehrmals mit Caroline. Sie berichtete mir, dass sich kaum etwas geändert habe. Rod sei so verschlossen wie eh und je, wirke davon abgesehen aber ziemlich vernünftig. Und als ich bei meinem nächsten Besuch an seine Zimmertür klopfte, öffnete er mir und sagte in ruhigem, sachlichem Tonfall, er habe mir nichts zu sagen und wolle nur »in Ruhe gelassen werden«. Dann machte er mir mit erschreckender Bestimmtheit die Tür vor der Nase zu. Meine Einmischung hatte also genau das bewirkt, was ich am meisten befürchtet hatte. Nun konnte natürlich auch keine Rede mehr davon sein, dass ich die Behandlung seines Beines fortsetzte. Ich schloss meine Aufzeichnungen über den Fall ab und reichte meinen wissenschaftlichen Bericht ein. Nun, da dieser Grund fortgefallen war, wurden meine Besuche auf Hundreds schlagartig weniger, und ich stellte zu meiner Überraschung fest, dass ich sie schmerzlich vermisste. Ich vermisste die Familie, ich vermisste Hundreds selbst. Ich machte mir Sorgen um die arme geplagte Mrs. Ayres und dachte oft an Caroline und fragte mich, wie sie dort wohl mit den schwierigen Entwicklungen zurechtkam. Immer wieder kam mir der Moment in der Bibliothek in den Sinn, als sie so müde und offensichtlich nur widerstrebend meine Hand losgelassen hatte.
    Der Dezember kam und das Wetter wurde winterlicher. In unserer Gegend brach eine Grippewelle aus, die erste in diesem Winter. Zwei meiner betagten Patienten starben, und etliche andere erkrankten schwer. Auch Graham lag mit der Grippe danieder; unser Vertreter, Wise, übernahm einen Teil seiner Arbeit, doch die übrigen Hausbesuche musste ich mit übernehmen, und bald arbeitete ich in jeder freien Minute. In den ersten Tagen des Monats kam ich nur in die Nähe von Hundreds, wenn ich die Farm besuchte, wo Makins’ Ehefrau und Tochter beide an der Grippe erkrankt waren. Folglich hatte Makins keine Unterstützung beim Melken und murrte verärgert, er wolle den ganzen Kram am liebsten hinschmeißen. Roderick habe sich seit drei oder vier Wochen nicht auf dem Hof blicken lassen, beschwerte er sich bei mir – nicht mehr seit dem letzten Zahltag, als er gekommen war, um die Pacht zu kassieren. »Da haben Sie Ihren sogenannten Gutsherrn!«, sagte er verbittert. »Solange die Sonne scheint, ist alles wunderbar. Aber wehe, das Wetter ist mal schlecht – dann bleibt er lieber zu Hause und legt die Beine hoch!«
    Er hätte sich sicherlich noch weiter beklagt, doch ich hatte keine Zeit, mir sein Murren anzuhören. Ich hatte auch keine Zeit, im Herrenhaus vorbeizuschauen, wie ich es früher immer getan hatte. Doch Makins’ Bericht machte mir Sorge, und daher rief ich am Abend auf Hundreds an. Mrs. Ayres nahm den Anruf mit müder Stimme entgegen. »Ach, Dr. Faraday«, sagte sie. »Wie schön, dass Sie anrufen! Wir haben schon so lange keinen Besuch mehr gehabt. Dieses schreckliche Wetter! Das Haus ist im Moment richtig ungemütlich!«
    »Aber es geht Ihnen gut?«, fragte ich. »Ihnen allen? Auch Caroline und Rod?«
    »Uns geht es … gut.«
    »Ich habe heute mit Makins gesprochen …«
    Es knisterte in der Leitung. »Sie müssen uns unbedingt besuchen kommen!«, rief Mrs. Ayres über die Störung hinweg. »Kommen Sie doch zum Abendessen! Wir würden ein richtiges traditionelles Dinner für Sie zubereiten! Würde Ihnen das gefallen?«
    Ich schrie zurück, dass ich das sehr schön fände, doch die Verbindung war zu schlecht, um noch weiterzureden. Zwischen den störenden Knistertönen legten wir noch einen Abend fest, ein paar Tage später.
    In der kurzen Zeit bis dahin schien sich das Wetter stetig zu verschlechtern. Als ich nach Hundreds Hall fuhr, war es regnerisch und windig, weder Mond noch Sterne waren am dunklen Himmel zu sehen. Ich weiß nicht, ob es an der Dunkelheit und dem feuchten Wetter lag oder daran, dass ich durch meine längere Abwesenheit vergessen hatte, wie schäbig und

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