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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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ausstehen. Spiegel waren nicht besonders freundlich zu ihr, und sie selbst tat wenig dazu, etwas an dieser Tatsache zu ändern. Ihr Haar schnitt sie in unregelmäßigen Abständen selbst, wobei sie wenig erfolgreich einem lange herausgewachsenen Fassonschnitt hinterherjagte, den sie sich in einem beispiellosen Anfall von Verschwendungssucht gegönnt hatte. Und ein ganz normaler Dienstag im K 34 gehörte auch definitiv nicht zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie so etwas wie Make-up verwendete.
    Heute allerdings blickte sie länger als gewöhnlich in den kleinen Spiegel, der in der Tür ihres Spinds angebracht war, und starrte auf die hektischen Flecken, die wie rote Seen im Weiß ihrer Haut prangten. Wenn sie doch wenigstens endlich aufhören würde zu schwitzen! Schließlich konnte sie sich nicht ewig in diesem Umkleideraum verstecken, und wenn sie ihn verließ, war sie unweigerlich aufs Neue den indiskreten Blicken ihrer Kollegen ausgesetzt, die wissen wollten, was sie so lange in Joost Werners Büro getrieben hatte und warum sie mit hochrotem Kopf wieder herausgekommen war. Wahrscheinlich feixten sie da draußen bereits über ihren vermeintlichen Rauswurf. Aber da würde sie die Herren enttäuschen müssen!
    Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und überlegte, wie sie ihr lädiertes Äußeres auf die Schnelle wieder halbwegs auf Vordermann bringen konnte. Den Bio-Lippenstift, der seit beinahe zwei Jahren als spärliches Zugeständnis an ihre eigene Weiblichkeit in ihrer Handtasche steckte, wagte sie nicht zu benutzen, denn er hatte sich zumindest hinsichtlich seines Farbtons als absoluter Fehlgriff erwiesen. Bei Tageslicht betrachtet, wirkte »Terrakotta« wie zerlaufene Nussnougatcreme, mit der sich ein ungeschicktes Kind versehentlich beschmiert hatte, was wahrscheinlich daranlag, dass die Nuance nicht mit ihrem Teint harmonierte. Aber sie hatte nun einmal trotz diverser Versuche mit entsprechenden Fragebögen aus allen erdenklichen Frauenzeitschriften noch immer keinen blassen Schimmer, welchem »Farbtyp« sie sich zuordnen sollte. Ihre Haarfarbe – ein mehr oder minder undefinierbares Dunkelblond – ließ die Varianten »Frühling«, »Sommer« und »Herbst« zu, ebenso ihre Augen, die je nach Kleidung grün, blau oder grau wirken konnten. Winnie Heller seufzte und starrte ihren Mund an, der an und für sich recht hübsch geschwungen war, aber ohne Betonung in jenem nichtssagenden Gesamteindruck unterging, den ihr Gesicht vermittelte. Es war eine Grundsatzentscheidung: kalt oder warm, Gelb- oder Blaustich, Silber oder Gold, und sie war einfach nicht in der Lage, diese Grundsatzentscheidung zu treffen.
    »Scheiß drauf«, murmelte sie wenig damenhaft, indem sie sich zu ihrer vollen Größe von nicht gerade üppigen 164 Zentimetern aufrichtete. Immerhin hatte sie allen Grund zur Freude, auch wenn sie im Augenblick ganz und gar nicht danach aussah. Sie hatte es geschafft. War am Ziel. Endlich. Sie verteilte ein wenig Styling-Gel auf ihren Handflächen und strich sich dann in einer entschlossenen Bewegung die insgesamt etwas mehr als kinnlangen Haare aus dem Gesicht. Sie hatte eine verdammt schwere Zeit durchgemacht, in der sich zunächst ihre Ausbildung und dann ihre Arbeit als einzige Konstanten erwiesen hatten. Sie war fleißig gewesen, hatte vorbildliche Berichte geschrieben, keine noch so unangenehme Aufgabe gescheut und einen Haufen Überstunden gemacht. Von den zahllosen Fortbildungen, durch die sie sich gequält hatte, gar nicht zureden. Und jetzt trugen ihre Bemühungen Früchte. Jetzt war sie am Ziel. Mordkommission. Da roch doch allein schon das Wort nach Erfolg! Dabei hatte sie sich schon fast damit abgefunden, sich für den Rest ihres Berufslebensmit irgendwelchen Drogendelikten herumschlagen zu müssen. Delikten, die so vorhersehbar waren, dass sie sich ernsthaft fragte, ob sie die viele Psychologie, die sie im Studium gebüffelt hatte, jemals würde brauchen können. Und nun sah sie sich unvermittelt am Ziel ihrer Träume. Und das nach zwei abgewiesenen Bewerbungen und all dem Ärger, den sie mit Paul Cartier, ihrem letzten Vorgesetzten, gehabt hatte ...
    Sie verdrehte die Augen und zupfte eine widerspenstige Haarsträhne in Form.
    Vielleicht war sie deswegen so ruhig geblieben, als Joost Werner vorhin mit ihr gesprochen hatte. Hey, Heller, Sie wollten doch so unbedingt zur Mordkommission . Nur die Farbe ihrer Wangen hatte sie verraten. So war es schon als Kind gewesen, vor

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