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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Freude, im Angesicht des Nikolaus, während des Feueralarms, der sie jedes Mal beinahe zu Tode erschreckt hatte, ganz egal, wie oft sie diese Art von Übung bereits durchexerziert hatte – wieder und wieder hatte ihre »Zirkulation«, wie ihre Großmutter es genannt hatte, sie in Verlegenheit gebracht. Noch so eine Sache, der ich einfach nicht Herr werde, dachte sie. Also schön, Heller, das KK 11 braucht Verstärkung . Sie hatte eine plötzliche Hitze gespürt, die sich über ihr Gesicht gebreitet hatte, und gewusst, dass Hitze in diesem Fall gleichbedeutend mit Röte war. Verdammt noch eins! Melden Sie sich in Hinnrichs’ Büro. Gleich morgen früh. Sie kniff die Augen zusammen und musterte ihre Wangen, die noch immer aussahen, als habe sie sich irgendeinen hochentzündlichen Ausschlag eingefangen.
    »Was soll’s«, sagte sie selbstbewusst und knallte die Tür ihres Spinds zu. »Ab morgen läuft der Hase anders.«
    Neustart. Neue Chance, neues Glück. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Sie lächelte. Sie hatte das große Los gezogen, daran bestand überhaupt kein Zweifel. Verhoevengalt als umgänglich. Nicht mehr blutjung, aber auch noch nicht mit einem Bein im Ruhestand. Glücklich verheiratet, was man so hörte. Vater einer kleinen Tochter. Einer, der niemandem ans Bein pisste, der Konflikte sachlich und fair austrug und nach Dienstschluss sofort nach Hause fuhr. Einmal im Leben hat eben jeder Glück, dachte sie. Sogar du. Dann nahm sie ihre Handtasche von der Holzbank hinter sich und verließ den Umkleideraum.
     
     
     
    Drüben an Grovius’ Grab redete Burkhard Hinnrichs ohne Unterlass. Kompetenter Einsatzleiter. Geschätzter Kollege. Unermüdlicher Verteidiger des Rechts. Das Übliche. Zu viel und nicht genug.
    Je länger er seinem Vorgesetzten zuhörte, desto mehr hatte Verhoeven das Gefühl, den Menschen, über den Hinnrichs da sprach, nie gekannt zu haben. Erst vor wenigen Tagen war ihm aufgefallen, dass er Grovius bis zum Schluss gesiezt hatte. Er hatte lange überlegt, ob der Ältere, der ihn vom ersten Tag ihrer Zusammenarbeit an mit der ihm eigenen jovialen Selbstverständlichkeit geduzt hatte, einfach nur vergessen hatte, ihm seinerseits das »Du« anzubieten, oder ob es am Ende doch Absicht gewesen war, aber er war zu keiner befriedigenden Antwort gekommen. Sein Blick krallte sich Halt suchend an dem Wagen voller Blumengebinde fest, der etwas seitwärts stand und geduldig auf das Ende der Zeremonie wartete. Ein letzter Gruß von deinen Kollegen stand wenig originell auf der Schleife des Kranzes, für den Werneuchen gesammelt hatte. Ein Monstrum in Blau und Gelb. Jemand hatte gefragt, was Grovius’ Lieblingsfarbe gewesen sei, aber keiner der Kollegen hatte diese Frage beantworten können.
    Auch er selbst nicht. Also hatten sie sich auf Blaugelb geeinigt. Männlichkeit und Hoffnung. Verhoeven ertappte sich bei einem ironischen Lächeln. Absolut unpassend für diesen Anlass. Schnell riss er den Blick von den Kränzen los. Vor dem Hintergrund der dunklen Wolkenfetzen glitten Vögel vorbei. Schwalben. Es schienen Hunderte zu sein. Ein ganzer Schwarm. Seine Augen folgten ihrem Flug, und er dachte daran, dass sie erst im Frühjahr zurückkehren würden.
    Hinnrichs war in seinem Nachruf inzwischen zu den Anekdoten übergegangen. Wie Grovius sich aus der Affäre gezogen hatte, damals, als der Referent des Ministeriums ... Ihr erinnert euch doch? Vereinzelt wagte jemand ein Lachen. Ach ja, der Grovius. So war er. Immer noch irgendwo ein Ass im Ärmel.
    Verhoevens Fingerspitzen spielten mit einem Faden, der sich aus dem Futter seiner Manteltasche gelöst hatte. Sie hatten niemals über Lieblingsfarben gesprochen, Grovius und er. Auch nicht über Bücher. Oder Musik. Er fand Bruce Willis toll, hatte Bredeney gesagt, als Werneuchen sich nach Grovius’ Lieblingsfarbe erkundigt hatte. Jeder findet Bruce Willis toll, hatte Friedhelm Richter ihm entgegengehalten. Hinnrichs hatte sie alle der Reihe nach angesehen. Wer ist Bruce Willis? Verhoeven schaute wieder zu Bredeney hinüber und dachte daran, wie sehr er sich immer vor dem Tag gefürchtet hatte, an dem Grovius in den Ruhestand verabschiedet würde. Er hatte sich ausgemalt, wie er der Feier fernbleiben würde. Wo er stattdessen wäre. Was er denken, wie er empfinden würde. Dass er einmal an einem Grab von seinem Mentor Abschied nehmen würde, wäre ihm nie in den Sinn gekommen ...
    Seine Augen suchten die Cellistin, die sich diskret in den

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