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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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welcher Gelegenheit?
    »Ja.« Dominik Rieß-Semper nickte wieder. Dann nahmen seine Augen unvermittelt einen anderen Ausdruck an. »Kennen Sie das von Mike Krüger?«
    Ganz falsche Frage, mein Freund!, dachte Verhoeven. Laut sagte er: »Das findest du natürlich cooler.«
    »Größer«, entgegnete Dominik Fett-Semper nach kurzer Überlegung mit wiedererwachendem diplomatischen Geschick.
    Gütiger Gott, Hendrik, der Junge ist vier Jahre alt , mahnte Silvie hinter Verhoevens Stirn, während er darüber nachdachte, wie er das Gespräch von Vogelhäusern auf ein anderes Thema lenken konnte. Chips-Allergien vielleicht. Oder Hähnchen mit Mayo. Doch gottlob bewahrte ihn die Rückkehr seiner Tochter davor, sich auf einen lächerlichen Kleinkrieg mit einem Vierjährigen einzulassen.
    »Hier!« Sie reichte ihm ein Blatt Papier, das eine kleine Frau mit roten Haaren neben einem detailreich ausgearbeiteten Auto zeigte.
    »Was hat sie da in der Hand?«, fragte Verhoeven mit echtem Interesse.
    »Bonbons«, erklärte seine Tochter.
    Klar doch, dachte Verhoeven. Karamellbonbons.
    »Davon bekommt man Kaaaarieees«, krähte Dominik.
    »Du vielleicht«, entgegnete Nina würdevoll.
    Verhoeven konnte sich eines breiten Grinsens angesichts ihres harschen Tonfalls nicht erwehren. »Darf ich ihr das Bild mitnehmen?«, fragte er. »Winnie ... Sie bekommt nämlich in den nächsten Tagen einen neuen Schreibtisch, weißt du, und der ist noch ganz leer und . . . «
    »Aber der Rand ist krumm«, bemerkte seine Tochter stirnrunzelnd, während sie die leicht zerknitterte Zeichnung mit dem Ärmel glatt strich.
    »Das macht nichts«, sagte Verhoeven. »Wir machen einfach einen Rahmen drum, dann sieht man das gar nicht mehr, okay?«
    »’kay.«
    »Und kommst du jetzt mit mir nach Hause?«
    Sie sah zum Fenster, als müsse sie sich vergewissern, dass es die richtige Zeit war, um abgeholt zu werden.
    »Wir könnten auf dem Rückweg an der Eisdiele halten«, schlug Verhoeven vor, bevor sie auf die Idee kam, ihm vor Mr. Experimentierkasten-Sempers Augen eine Abfuhr zu erteilen.
    »Jaaa«, rief sie begeistert und sprang ihm in die Arme. »Ich will Schokolade und Vanille und Amarena-Kirsch-Trüffel.«
    »Wiedersehen, Dominik«, sagte Verhoeven mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. Aber von Eis bekamen dicke Jungen wie er nun einmal Allergien oder Kaaarieees und ... Hendrik! Er sah Silvies fassungsloses Kopfschütteln vor sich und drehte sich eilig noch einmal um. »War nett, dich kennenzulernen.«
    »Sie auch«, entgegnete der Junge und verschwand erstaunlich behände in seinem Pappkarton-Raumschiff.
    »Und vielleicht kommst du uns auch gelegentlich mal besuchen?«
    »Kann ich machen.«
    Verhoeven nickte. »Also dann . . . «

 
     
     
     

November 2006
    Kurz nach der Beisetzung hatte es wieder zu schneien begonnen. Dicke, nasse Flocken fielen ruhig und gleichmäßig auf die langen Grabreihen hinab und überzogen die Fußspuren der wenigen Trauergäste mit einer ebenmäßigen weißen Decke.
    Verhoeven wartete geduldig, bis auch die Letzten von ihnen gegangen waren, dann legte er ein schlichtes Kreuz aus Tannengrün und Efeu neben den kleinen Stapel verschneiter Kränze, der das Grab von Senta-Elisabeth Heller bedeckte.
    Er hatte lange gezögert, ob er überhaupt zur Beisetzung kommen sollte, weil er fürchtete, dass seine Kollegin sein Erscheinen als aufdringlich oder, schlimmer noch: als neugierig empfinden würde. Aber er hatte sich auch nicht drücken wollen. Sie hatten keinen allzu guten Start gehabt, und wenn es stimmte, dass über Gedeih oder Verderb einer Beziehung in den ersten Minuten einer Begegnung entschieden wurde, hatten sie vermutlich keine Zukunft. Trotzdem mussten sie es versuchen. Da war etwas, das sie einander zu geben hatten, das spürte er. Etwas, das jeden von ihnen ein wenig stärker machte. Das ideale Team ist eines, bei dem sich die Partner in all ihren Stärken und Schwächen ergänzen, nicht eines, bei dem einer vorausgeht und der andere Beifall klatscht, hatte Hinnrichs gestern früh im Aufzug zu ihm gesagt, ohne dass einer von ihnen das Thema explizit angeschnitten hätte. Wir sind am Ende immer dann am stärksten, wenn wir etwas tun, von dem wir glauben, dass es uns nicht liegt ...
    Verhoeven hatte Ninas Zeichnung gerahmt und auf WinnieHellers neuen Schreibtisch gelegt. Sie würde sie finden, wenn sie zurückkehrte. Und vielleicht würde sie sie sogar behalten. Sicher, seit der Fall geklärt war, hielt sie wieder

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