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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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mehr, der das Steuer übernahm, wenn es mal brenzlig wurde. Nicht für Ulla und auch nicht für ihn.
    Verhoeven schluckte und wunderte sich über den Lärm, den er dabei veranstaltete. Am liebsten hätte er Ullas Arme von seinem Hals gerissen. Hinter ihm murmelte Silvie etwas, das er nicht verstand. Es klang beruhigend. Tröstend. Souverän. Verhoeven fühlte, wie Ullas Griff sich lockerte. Wie sie langsam und widerwillig von ihm abließ und sich Silvies zarter Gestalt zuwandte. Einen Moment lang war er versucht, seine Frau zu beschützen, sich vor sie zu stellen, sie abzuschirmen, damit sie nicht in den Würgegriff des Schmerzes geriet, doch für Silvie schien die Umarmung der anderen keine Last zu sein. Er sah, wie sie Ullas Rücken streichelte. Wie selbstverständlich sie sich danach von ihr löste. Und er bewunderte sie dafür. Silvie war sieben Jahre jünger als er, aber sie hatte das Leben im Griff.
    »Ich denke alle fünf Minuten an etwas, das ich ihn nicht mehr fragen kann«, sagte Ulla gerade mit einer Miene, die ihn an ein trotziges kleines Kind erinnerte.
    »Es braucht seine Zeit«, entgegnete Silvie.
    Ulla nickte. Ihr Blick ging ins Leere. Der schwarzen Ringe aus zerlaufener Wimperntusche unter ihren Augen schien siesich nicht bewusst zu sein. Sie sah grotesk aus. Ein welkes weißes Wrack.
    Verhoeven grub seine Finger in den Rücken seiner Frau. Fühlte ihre Körperwärme unter dem edlen Wollstoff. Schob sie vor sich her. Weg von hier. Nach Hause.
    »Ihr kommt doch nachher noch?«, rief Ulla, die bereits dem nächsten Kondolierenden in den Armen lag, ihnen nach. »In einer Stunde bei Luigi’s.«
    Er antwortete nicht. Ging einfach weiter. Zum Ausgang. Zum Auto.
    »Verhoeven ?«
    Das war Hinnrichs. Verhoeven blieb stehen und drehte sich um.
    »Augenblick noch.« Sein Vorgesetzter wich elegant einer Pfütze aus und nickte Silvie grüßend zu. Die schwarze Krawatte unter seiner Kamelhaarjacke saß tadellos. »Wir sollten uns so bald wie möglich über Ihre Zukunft unterhalten«, sagte er, indem er sich mit einer geübten Bewegung eine Zigarette ansteckte. »Ich habe mir da bereits ein paar Gedanken gemacht, und ...«
    »Es tut mir leid«, unterbrach ihn Verhoeven. »Aber wir sind...«
    »... und ich denke, ich habe eine praktikable Lösung gefunden«, fuhr Hinnrichs, ohne mit der Wimper zu zucken, fort, dennoch konnte Verhoeven deutlich hören, dass sein Vorgesetzter sich über die versuchte Abfuhr ärgerte.
    »Eine Lösung wofür?«, fragte er.
    Hinnrichs wandte sich ab und ging über den Kiesweg davon. »Kommen Sie morgen früh in meinem Büro vorbei«, rief er Verhoeven über die Schulter zu.

Angst hatte sie eigentlich nie, aber urplötzlich fand sie es doch irgendwie leichtsinnig, allein losgelaufen zu sein. Sie blieb stehen und schaltete den Walkman aus. Stille umfing sie. Das Laub unter ihren Füßen war nass und schwer. Angestrengt lauschte sie auf den Laut eines Vogels oder das Rascheln einer Maus. Aber außer dem Klatschen der Wassertropfen, die von den regenschweren Ästen herab auf den Waldboden fielen, war nichts zu hören.
    Zögernd ging sie weiter. Den Walkman ließ sie ausgeschaltet. Musik schien ihr auf einmal unpassend, gefährlich sogar. Sie riss sich die Knöpfe des Kopfhörers aus den Ohren und stopfte das Kabel in den Bund ihrer Jogginghose. Zugleich bemühte sie sich, so leise wie möglich aufzutreten, um die Stille ringsum nicht zu durchbrechen. Stille war gut. Stille bedeutete, dass man allein war. Und wenn man allein war, war man in Sicherheit.
    Sie hatte jetzt gut drei Viertel der Strecke hinter sich, doch noch immer war ihr nicht richtig warm geworden. Durch die Nähte ihrer Schuhe drang unaufhaltsam die Feuchtigkeit des Waldbodens. Mittlerweile fühlten sich ihre Füße an, als gehörten sie zu einer fremden Person. Sie wandte den Kopf und blickte über ihre Schulter den Weg zurück, den sie soeben gekommen war. Irgendetwas beunruhigte sie. Etwas, das sie nicht näher definieren konnte. Ein diffuses Gefühl von Gefahr. Von Bedrohung. Ihre Blicke irrten zwischen den lichten Sträuchern hin und her wie ein aufgeschreckter Waldvogel. Aber da war nichts. Sie war allein. Und allein war man in Sicherheit. Oder?
    Die Stämme der Bäume ringsum schimmerten silbern vor Feuchtigkeit. Einzig die Wetterseite war stumpf vor Moos. Von den Blättern tropfte unablässig der alte Regen herab, und Susanne Leistner begann zu laufen, so schnell sie konnte. Der durchweichte Waldboden dämpfte das

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