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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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mit vielsagendem Unterton.
    »Eine Perücke?«
    »Bingo.«

Zufrieden rieb Klaus Brauner seinen rechten Arm und zündete sich eine neue Zigarette an. Da war er also auf eine richtig gute Story gestoßen! Die Alte auf dem Teppich hatte verdammt tot ausgesehen, und die Wohnung war ein Schlachtfeld. Im Grunde war es überhaupt nicht mehr nötig, hier im Wagen zu sitzen und auf den Abtransport der Leiche zu warten, aber er wollte ganz sichergehen, dass er nichts verpasste. Präsenz war das A und O in seinem Beruf. Präsenz und Instinkt. Und auf seinen Instinkt konnte er sich verlassen, das hatte sich soeben wieder einmal erwiesen.
    Drei tote Frauen in fünf Wochen. Kein Wunder, dass diesem Verhoeven die Nerven durchgingen. Sicher, in der Pressekonferenz hatte er jeden Zusammenhang zwischen den ersten beiden Morden geleugnet. Aber Brauner hatte die Besorgnis in seinen Augen gesehen. Und er war viel zu lange im Geschäft, um nicht zu merken, wann eine Sache absichtlich heruntergespielt wurde. Das, was bisher über die beiden Morde bekannt geworden war, konnte nur ein Bruchteil der Wahrheit sein, dessen war er sich absolut sicher. Und durch seinen Instinkt und den glücklichen Zufall von heute, ohne den er von dem dritten Mord überhaupt nichts erfahren hätte, war er all seinen Kollegen meilenweit voraus. Das Einzige, was ihm jetzt noch fehlte, waren ein paar Hintergrundinformationen über die ersten beiden Morde.
    Er schnippte die Kippe seiner Zigarette aus dem Fenster und zog sein kleines persönliches Telefonbuch, das er immer bei sich trug, aus der Tasche seines Jacketts. Er blätterte eine Weile, bis er die richtige Nummer gefunden hatte, dann griff er zu seinem Handy.
    Es war an der Zeit, eine kleine Verabredung zu treffen.

Warum ich?
    Die Frage, die sie seit sechsundzwanzig Jahren mit sich herumschleppte.
    Tausend andere. Hundert schönere. Warum ausgerechnet ich?
    Sie hatte viele Bücher gelesen und doch keine Antwort gefunden. Pech. Schlechtes Karma. Zufall. Keine dieser Erklärungen befriedigte sie. Sie strahlte etwas aus. Etwas, das das Kranke anzog. Das Dunkle.
    Sie fröstelte.
    Vor ihr lag die Treppe, die sie hatte vermeiden wollen und die doch so unvermeidlich gewesen war. Die Architektur des Altbaus. Kein Platz für ein Büro im Parterre. Und es hatte ja auch durchaus Zeiten gegeben, in denen die Treppe ihr kaum etwas ausgemacht hatte. In denen sie sie nur ganz beiläufig registriert hatte, wenn sie die achtzehn Stufen in den ersten Stock hinaufgestiegen war. Aber diese Zeiten gehörten nun endgültig der Vergangenheit an. Notiz an den Makler: alles ebenerdig, nächstes Mal. Keine Treppen, keinen Keller, einen neuen Anwalt als Mittelsmann.
    Draußen hatten sich die Wolken, die den Rheingau am Vormittag in einen Schleier aus Nieselregen gehüllt hatten, verzogen, und die Sonne schien vom beängstigend blank geputzten Himmel. Sie blieb an einem der Fenster zum Park stehen, um sich in den noch immer kräftigen Strahlen zu wärmen und auch, um die Treppe noch ein paar Minuten aufzuschieben. Die Scheibe vor ihr war lauwarm. Vorsichtig legte sie die Finger dagegen. Die einschneidendsten Katastrophen, dachte sie, während sie für einen kurzen Moment die Augen schloss, ereignen sich im hellsten Licht. Eine Welle, die so vollkommen harmlos aussieht, dass man sie fast schön finden könnte, und die nur wenige Sekunden später Hunderttausende Menschen in den Tod reißt. Die einstürzenden TwinTowers vor dem postkartenblauen Himmel Manhattans. Ein Sommermorgen im Schwimmbad. Und ein tückischer Maitag, als das Grauen längst vorbei zu sein scheint ...
    Die Tür steht offen. Das ist das Erste, was sie wahrnimmt.
    Das Zweite ist, dass es nicht nach Kaffee riecht. Dabei trinkt Tante Louise Kaffee wie andere Leute Mineralwasser. Der hält mich jung, sagt sie, und ihr Blutdruck ist ohnehin immer viel zu niedrig. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie zuerst denkt, es sei Tante Louise einfach nur schlecht geworden. Schwindlig. Wie das eben manchmal passiert, noch dazu im Alter. Der Wetterwechsel. Ein wenig zu schnell aufgestanden. Unachtsam. Was sonst? Was, zur Hölle, denn sonst? Er ist doch noch ein Kind, verdammt noch mal! Und er ist fort. Seit Monaten schon. Fort seit dem einunddreißigsten Oktober neunzehnhundertachtzig, elf Uhr dreiundvierzig vormittags. Etwas, das sie immer ganz genau wissen wird. Für den Rest ihres Lebens.
    Tante Louise?
    Sie tritt näher. Die Gliedmaßen sehen verdreht aus. Grotesk. Fast wie

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