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Der Beutegaenger

Titel: Der Beutegaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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bestimmt. »Das ist unmöglich.« Und etwas sanfter fügte er hinzu: »Behalten Sie Frau Reisinger lieber so in Erinnerung, wie Sie sie gekannt haben.«
    Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht der alten Dame. »Oh, das werde ich ganz sicher«, sagte sie. »Glauben Sie mir: Keine Macht der Welt könnte das Bild verändern, das ich mir in fast fünfzig Jahren von Isolde gemacht habe. Und dennoch . . . « Sie suchte eine Weile nach den richtigen Worten. »Sehen Sie, es gibt Menschen, deren Sicht der Welt leicht erschütterbar ist. Menschen, die ein gewisses Maß an Illusionen brauchen, um verkraften zu können, was um sie herum und mit ihnen geschieht. Menschen, für die der Blick hinter den Spiegel belastend, vielleicht sogar gefährlich ist. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die Gewissheit brauchen, um mit dem Leben fertig zu werden, verstehen Sie?« Sie sah ihn eindringlich an, und Verhoeven verstand, was sie meinte. Eigenartigerweise musste er dabei an seine Tochter denken. An Nina, die einen fetten kleinen Jungen mochte, weil er einen Experimentierkasten besaß. »Ich bin ein Mensch, dem nicht die Wahrheit, sondern die Ungewissheit gefährlich werden kann«, fuhr Lore Simonis fort, »und ich möchte mich nicht dabei ertappen, wie ich nach Isolde suche oder auf sie warte. Ihren Tod und auch die Art und Weise ihres Todes zubegreifen ist für mich ein wichtiger Teil des Abschiednehmens. Und außerdem«, setzte sie betont sachlich hinzu, »werden Sie ohnehin jemanden brauchen, der Isolde für Sie identifiziert, nicht wahr?«
    »Eine Identifizierung anhand eines Fotos wäre absolut ausreichend«, entgegnete Verhoeven ebenso sachlich.
    Ein leises Lächeln spielte um Lore Simonis’ Mundwinkel, als sie nickte. »Da haben Sie vermutlich recht«, sagte sie.
    Verhoeven trat einen Schritt zur Seite. »Passen Sie auf, dass Sie nichts berühren.«
     
     
     
    Klaus Brauner kurbelte das Seitenfenster seines Opel Omega herunter. Trotz der mageren sieben Grad plus, die das Thermometer neben dem Kilometerzähler anzeigte, schwitzte er wie im Hochsommer, was kein Wunder war, denn er stand unter Hochspannung. Etwas ging hier vor. Etwas, das verdammt noch mal nach einer großen Sache roch!
    Seit dem frühen Morgen war er in der Gegend rund um die Alte Stiege unterwegs, sah sich um und versuchte, mit den Anwohnern ins Gespräch zu kommen. Und jetzt kreuzte doch tatsächlich die Kripo in Begleitung einer alten Schachtel auf! Nur durch Zufall hatte er die drei ankommen sehen: Hendrik Verhoeven, den er vor der gestrigen Pressekonferenz nur als bleichen Schatten des großen Grovius wahrgenommen hatte, dazu irgendein rotblondes Pummelchen, das vermutlich zu Verhoevens Mitarbeitern gehörte, und eine zierliche alte Dame mit wachen Augen und blütenweißem Haar. Sie waren aus dem Wagen gestiegen und in einem gepflegten Mehrfamilienhaus verschwunden. Einem Haus, das mehr alszehn Gehminuten von der Wohnung der ermordeten Buchhändlerin entfernt war, wohlgemerkt. Und selbst wenn Verhoeven tatsächlich weitere Zeugen befragen wollte, warum, zum Teufel, hatte er dann eine Großmutter im Schlepptau?
    Ohne den Blick von dem Gebäude abzuwenden, schüttelte Brauner eine weitere Zigarette aus dem zerknitterten Päckchen, das er für Notfälle wie diesen im Handschuhfach seines Wagens aufbewahrte, brach den Filter ab und entzündete sie am Stummel der alten. Nachdem die Haustür hinter Verhoeven und seinen Begleiterinnen ins Schloss gefallen war, hatte er sich entschieden, zu warten und die Dinge aus sicherer Distanz zu beobachten. Und siehe da, vor wenigen Minuten war ein Streifenwagen vorgefahren. Das wiederum konnte nur heißen, dass es um etwas ganz anderes als um Zeugenbefragungen ging.
    Brauner nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch gegen die niedrige Decke. Es ging um irgendetwas anderes und ... Augenblick mal! War das nicht ...? Na, und ob! Er grinste. Die Dinge kamen voran! Soeben hievte sich die alte Potemkin aus ihrem Auto und watschelte mit ihrem Einsatzkoffer ebenfalls auf das Haus zu. Das bedeutete zweifellos eine weitere Leiche und damit eine interessante Entwicklung. Brauner nestelte ein Taschentuch aus seinem Jackett und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Mord an der Alten Stiege hatte von Anfang an sein Interesse geweckt. Sein journalistischer Instinkt sagte ihm, dass mehr dahintersteckte. Und nach allem, was ihm der Kerl, der über die Leiche gestolpert war, erzählt hatte, war die Buchhändlerin in

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