Der Beutegaenger
bei Glenn Close in Der Tod steht ihr gut . Nur dass Tante Louise sich nicht rührt, als sie sie anfasst. Damals mit Minnie hat sie sich geschworen, nie mehr in eine seiner Fallen zu gehen. Und nun wird sie sich untreu. Unabsichtlich natürlich, aber was macht das schon? Es ist trotzdem ein Fehler. Ihr Fehler. Sie hört ihren eigenen angstvollen Atem. Dabei hat sie sich schon fast wieder sicher gefühlt. Erwacht aus dem Albtraum, zu dem er ihr Leben gemacht hat. Und sie will doch von der Klausur erzählen. Achtstündig. Deutsch. Sie hatte Glück, beide Themen, die zur Auswahl standen, waren wie für sie gemacht gewesen. Gedichtinterpretation, Hölderlin. Oder Goethes Naturverständnis im Werther . So viel zu sagen, dass die Zeit kaum ausreicht ...
Tante Louise?
Ihre Haut ist kalt, als sie sie mit ihren Lippen berührt. Warum sie das tut, warum sie die Lippen nimmt, weiß sie selbst nicht. Vielleicht, weil ihre Hände so zittern.
Was ist mit dir? Was hast du?
Ein mehr als seltsames D´ej`a-vu, denkt sie und lässt ihre Blicke über Tante Louises Gesicht wandern. Hinunter zur Kehle. Die heil ist. Intakt. Gott sei Dank! Sie hat sich geirrt! Sie muss einen Krankenwagen rufen. Sie muss ...
In diesem Augenblick wird es hinter ihr plötzlich dunkler. Genau wie damals. Wie in der Umkleidekabine im Schwimmbad. Aber das Schwimmbad ist weit weg. Abgehakt. Vorbei. Sie kann fast wieder lachen. Geht sogar schon mal allein bis zum Bäcker, wenn sie einen guten Tag hat. Zwischen Düsseldorf und Hamburg liegt eine Welt. Oder nicht?
Durch die Dunkelheit hindurch fühlt sie einen Blick auf sich gerichtet. Er brennt zwischen ihren Schulterblättern. Dreh dich nicht um . Es ist nur ein Traum. Ein Albtraum, hörst du? Du stehst jetzt auf. Ganz langsam auf. Und dann gehst du aus dem Haus, denselben Weg entlang, den du gerade gekommen bist. Du gehst durch das Gartentor, das Papa erst kürzlich für Tante Louise geölt hat, und bewahrst die Ruhe, und drüben, bei euch in der Küche, wird deine Mutter dich fragen, was mit dir los ist und warum du so blass bist. Und dann wirst du ihr erzählen, dass Tante Louise gestorben ist. Und deine Mutter wird lachen und sagen, mein armes Kind, wird sie sagen, wir müssen mit dir am Ende wohl doch noch zu einem Psychiater gehen, aber das machen wir morgen, jetzt gehen wir erst mal zum Fenster, ja, komm nur, hierher zum Fenster, siehst du, du brauchst gar keine Angst zu haben, es ist alles in Ordnung, die Sonne scheint, und da ist auch Tante Louise, siehst du, dort bei den Rosen, die treiben bereits kräftig aus, so kräftig, dass man fast schon die ersten Knospen erkennen kann, und schau nur, jetzt winkt sie dir, und es geht ihr gut, wie du siehst, na los, wink mal zurück!
Ihre Knie knirschen, als sie aufsteht. Sie wirft einen letzten Blick auf die Leiche. Dann dreht sie sich um.
Sein Schatten, der eben noch die Türöffnung verdunkelt hat, ist fort. Aber sie weiß, was sie gesehen hat. Wen sie gesehen hat.
Sie sagt es auch der Polizei. Später. Als sie wieder zu sich gekommen ist.
Doch die Polizei glaubt ihr nicht ...
»Sie sterben wie die Fliegen.« Hermann-Joseph Lübke biss mit spürbarem Widerwillen in einen schon etwas verschrumpelten Apfel und streckte seine Ringerbeine unter dem Konferenztisch aus.
Niemand lachte.
Die ersten Untersuchungen am Tatort waren abgeschlossen. Lore Simonis hatte festgestellt, dass ein Pelzmantel und einige Schmuckstücke aus der Wohnung ihrer Freundin fehlten. Auch ein wertvolles altes Schachspiel war nicht aufzufinden gewesen. Obwohl noch kein Obduktionsbefund vorlag, stand fest, dass Isolde Reisinger mit einem schweren, kantigen Gegenstand erschlagen worden war. Der Pflasterstein, der neben der Leiche gelegen hatte, war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Tatwaffe. Aufgrund einer ersten Begutachtung der Toten und Lore Simonis’ Aussage konnte als Tatzeitpunkt der späte Montagabend als sicher gelten. Da am Schloss der Wohnungstür nicht manipuliert worden war, mussten sie davon ausgehen, dass Isolde Reisinger ihrem Mörder selbst die Tür geöffnet hatte oder dass dieser die Wohnung gemeinsam mit ihr betreten hatte. Gegen die letztere Möglichkeit sprach allerdings die Tatsache, dass diealte Dame sich offenbar noch kurz vor ihrem Tod eine Tasse Kakao gemacht hatte. Winnie Heller hatte die fast volle Tasse auf dem Küchenschrank entdeckt.
»Drei Morde in noch nicht einmal fünf Wochen«, resümierte Verhoeven. »Zwei der Opfer
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