Der Beutegaenger
wurden auf die gleiche Art und Weise getötet, nämlich mit einem schalähnlichen Werkzeug erdrosselt. Das dritte Opfer ist erschlagen worden. Die äußeren Umstände dieser Tat weichen deutlich von den beiden anderen Morden ab.« Er blickte in seine Kaffeetasse hinunter. Die vier Thermoskannen auf dem Tisch waren seit Langem leer. »Dennoch gehen wir davon aus, dass es sich in allen drei Fällen um ein und denselben Täter handelt, denn wir wissen, dass sich Frau Reisinger zum Zeitpunkt des Mordes an Tamara Borg ganz in der Nähe des Tatorts aufgehalten hat. Und sie starb noch am selben Abend. Das kann unmöglich ein Zufall sein.«
Hinnrichs war aufgestanden und zum Fenster gegangen, hinter dem es bereits stockfinster war. Jetzt kam er mit eiligen Schritten an den Konferenztisch zurück. »Sie meinen also, dass die Ermordung von Isolde Reisinger im Gegensatz zu den beiden anderen Morden nicht geplant war«, sagte er. Auf seinem Gesicht zitterte der Widerschein des Standbilds, das Lübkes Laptop an die Wand projizierte. »Dass sich der Täter mit dem Mord an Frau Reisinger nur einer Augenzeugin entledigt hat?«
»Anders ist das alles nicht zu erklären«, nickte Verhoeven. »Der Mord an Frau Reisinger passt nicht ins Schema der beiden anderen Taten. Sie wurde nicht erdrosselt, und der Mörder hat an ihrer Leiche keinerlei Manipulationen vorgenommen.«
»Wenn du recht hast«, schnaufte Lübke apfelkauend, »frage ich mich, wieso unser Mann sie nicht gleich bei der Alten Stiege erledigt hat.«
»Das ist seltsam, ja«, antwortete Verhoeven zögernd. »Aber wenn er Frau Reisinger gleich an Ort und Stelle getötet hätte,dann hätte niemand bezweifelt, dass die beiden Taten miteinander im Zusammenhang stehen, nicht wahr?« Er sah sich in den Gesichtern seiner Kollegen um. Doch seine Suche nach Einverständnis verlief erfolglos. Die Stimmung begann umzuschlagen. Resignation machte sich breit. Das muss ich unbedingt verhindern, dachte er. Verhindern, dass wir uns festbeißen. Laut sagte er: »Vielleicht wollte der Mörder genau das vermeiden. Das würde auch erklären, warum er eine andere Tötungsart wählte.«
»Und Wertsachen aus der Wohnung des Opfers mitnahm«, ergänzte Winnie Heller, die an der Längsseite saß und den Ellenbogen auf dem Tisch abstützte. »Er wollte wahrscheinlich einen Raubmord vortäuschen.«
»Wozu die Mühe?«, fragte Werneuchen.
»Wir können wohl als gegeben voraussetzen, dass der Mörder mit seinen Taten eine bestimmte Aussage treffen will«, entgegnete Verhoeven. »Die Art und Weise, wie er mit seinen Opfern verfährt, nachdem er sie getötet hat, beweist das ganz deutlich.« Sein Hemd hatte einen Fleck, den er erst jetzt bemerkte. Er überlegte, ob es helfen würde, wenn er die Knöpfe an seinem Jackett schloss. »Angenommen, der Täter hat das Gefühl, dass diese Aussage durch einen weiteren Mord, der nicht geplant, sondern nur durch einen unglücklichen Zufall nötig geworden ist, verfälscht würde.« Er rückte seine Krawatte zurecht. »Würde er dann nicht alles versuchen, um dem Mord an Isolde Reisinger ein völlig anderes Gesicht zu geben?«
»Stimmt«, nickte Bredeney, dessen Finger nervös an seinem puppigen Brillenkettchen spielten. »Wenn wir durch die Aussage von Lore Simonis nicht ganz sicher wüssten, dass Frau Reisinger zum Zeitpunkt des Mordes an Tamara Borg ebenfalls an der Alten Stiege war, wäre es uns verdammt schwergefallen, eine Verbindung zwischen den beiden Taten herzustellen.«
»Augenblick mal«, sagte Winnie Heller. »Diese Theorie hat eine ganz entscheidende Schwäche.« Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen, als sie die Blicke ihrer Kollegen spürte. Was nimmt diese unerfahrene Kuh sich heraus? Kann sie nicht einfach mal still sein? Konzentrier dich, dachte sie. Du weißt, was du tust. Also tu es! »Frau Reisinger kommt mit Frau Simonis vom Romm´e«, fuhr sie fort, die Augen noch immer geschlossen. »Sie verabschieden sich. Es ist dunkel. Frau Reisinger geht die Alte Stiege hinunter und beobachtet, wie ein Mann eine Frau erdrosselt oder eine Leiche über ein Geländer wirft – irgendetwas in dieser Art müsste es doch gewesen sein, oder? Schön und gut. Der Täter bemerkt sie. Ob sie sich darüber im Klaren ist, lassen wir mal außen vor. Aber versetzen Sie sich in Frau Reisingers Lage. Was würden Sie in einem solchen Fall tun?« Sie schlug die Augen wieder auf und blickte fragend in die Runde. »Also, ich für meinen Teil würde machen, dass
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