Der Bewacher - Swierczynski, D: Bewacher - Fun & Games

Medienzimmer und hatte gerade einen Fuß auf die Terrasse gesetzt, als er merkte, dass er in Tierscheiße getreten war. Na toll. O’Neal würde ihm das
nie verzeihen. Also schabte er seine Schuhe an den Holzbrettern ab.
    Da wurde er von hinten gepackt.
     
    Anzahl der tödlichen Sturzunfälle pro Jahr: 14 900.
     
    Hardie hatte nicht viel Zeit, seinen Gegner zu begutachten, aber wenigstens war dieser hier komplett bekleidet. Außerdem war er jung und hatte eine Strubbelfrisur, wie sie heutzutage offensichtlich alle Jugendlichen trugen.
    Hardie stieß ihn zum Rand der Terrasse, indem er ihn mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen die Brüstung donnerte. Seine Attacke war so heftig, dass der Typ sich sofort übergeben musste  – was auch immer er als Letztes gegessen hatte, sprudelte aus seinem Mund und landete auf dem Gras drei Stockwerke weiter unten. Auf der Suche nach Halt ruderte er hektisch mit den Armen. Offensichtlich hatte er höllische Schmerzen. Doch das war Hardie egal. Er konnte sich nicht lange mit ihm aufhalten.
    Er trat ein paar Schritte zurück, rannte los und trat ihm mit voller Wucht in die Eier. Der Typ flog in die Höhe und dann über das Geländer. Hardie sah, wie er mit den Beinen strampelte, als würde er auf einem unsichtbaren Fahrrad sitzen, dann war er weg.
    Schön.
    Zwei weniger.
    Weiß der Henker, wie viele es noch waren.
    Plötzlich wurde Hardie steif wie ein Brett, er wollte einen Fluch ausstoßen, dann schlug er auf den Terrassenboden.

ZWÖLF
    Klasse.
    CLINT EASTWOOD, DIRTY HARRY KOMMT ZURÜCK
     
     
     
     
    U nd das hier sind 50 000 Volt, Arschloch.
    O’Neal verpasste ihm einen fünfzehnsekündigen Stromstoß in den Rücken, so dass er zu Boden fiel. Und einen weiteren zehnsekündigen, um ihn daran zu hindern, wieder aufzustehen.
    Er hakte den Elektroschocker unter seinen Gürtel, dann nahm er aus einer Mappe eine Spritze und zog die Kappe ab. Es war O’Neal unbegreiflich, wie dieser sture Mistkerl die Ladung aus dem Wespennest überlebt hatte  – vielleicht war sie für zwei Personen zu niedrig dosiert gewesen. Aber das hier würde er nicht überleben.
    Sollte O’Neal irgendwann von der Polizei angehalten und durchsucht werden, könnte er einfach behaupten, dass es sich bei der Spritze um einen Epinephrin-Autoinjektor handelte, für den Fall einer allergischen Reaktion (um seine Behauptung zu stützen, hatte O’Neal in seiner Brieftasche die erforderliche Karte). In Wirklichkeit enthielt die Spritze
jedoch eine Substanz, die ein Wissenschaftler aus dem Mafia-Umfeld in der Blütezeit während der Sechziger in Vegas entwickelt hatte: den Herzinfarkt aus der Spritze. Wirkte innerhalb von Sekunden, absolut rückstandslos.
    Ein Herzinfarkt war bei Männern in Hardies Altersgruppe die Todesursache Nummer eins, gefolgt von Krebs und Schlaganfall. Jemand hatte sogar einen Schlaganfall-Simulator aus der Spritze erfunden, aber warum sollte man sich für die dritthäufigste Todesursache entscheiden, wenn man die Nummer eins haben konnte?
    O’Neal liebte den Autoinjektor.
    Er benutzte ihn, wann immer er konnte.
    Er hob Hardies Arm an, um ihm das Zeug direkt in die Vene zu jagen. Sicher, es wirkte auch, wenn man es irgendwo injizierte. Die Muskeln nahmen das Gift auf und beförderten es direkt in den Blutkreislauf. Doch O’Neal spritzte es lieber direkt in die Hauptpipeline.
    Mit einem Schnipser des Daumens entriegelte er den Sicherungsmechanismus, dann drückte er aufs obere Ende, um den Autoinjektor zu aktivieren.
    Viel Spaß im Jenseits, mein Freund.
     
    Ein weitverbreiteter Irrtum, was Elektroschocker betrifft, ist, dass sie einen kurz bewusstlos machen.
    Im Gegenteil.
    Man ist voll da. Der Körper wird von schlimmstmöglichen Schmerzen erfasst, während man bei vollem Bewusstsein ist. Man bildet sich sogar ein, man könnte sprechen, und die meisten Leute haben das Gefühl, sie würden eine Tourette-Syndrom-Version der Gettysburg-Rede mit fünftausend
Wörtern pro Minute von sich geben. Doch in Wirklichkeit sagt man keinen Ton.
    Dein Körper kriegt eine gewischt, und dein Verstand wartet geduldig darauf, dass er wieder funktioniert.
    Das heißt, bei den meisten Leuten.
    Wie fast alle Cops in Philly hatte Hardie ein Elektroschocker-Training absolviert. Dazu gehörte auch, dass man sich wenigstens einmal einem Stromschlag aussetzte. So waren die Regeln. Damit man am eigenen Leib erfuhr, was man da austeilte.
    Hardies erster Durchgang war in Polizeikreisen zur Legende