Der bewaffnete Freund
Vermenschlichung eines Katzendaseins.
»Wie heißt die denn?«
Weil ich keine Ahnung habe, wie Montses Katze heißen könnte, nenne ich den ersten Namen, der mir in den Sinn kommt.
»Zubieta.«
… bieta.
Ich erschrecke, als ich den Namen in der Leitung nachhallen höre.
»Berta?«, fragt Hanna.
»Genau«, antworte ich schnell.
Rabbee betritt das Wohnzimmer, an seinen Ohren klebt ein Rest Rasierschaum.
»Habibte«, ruft er in den Hörer, »bist du schon Schwimmweltmeisterin? Kraulst du deiner Mutti davon?«
Bei unserem Besuch in Armins Mühle hat er Hanna Schwimmen beigebracht. Man könnte glauben, er hätte in den wenigen Tagen ein innigeres Verhältnis zu Hanna aufgebaut als ich in vier Jahren.
»Mama sagt, ich bin zum Schwimmen zu klein.«
»Zu klein?«, antwortet Rabbee. »Du bist doch schon über einen Meter groß.« In diesem Augenblick bricht die Verbindung ab. Es ist plötzlich sehr still im Raum.
»Ich weiß nicht, was du hast«, sagt Rabbee. »Die sind doch super, die beiden … du bist echt kompliziert.«
»Kompliziert?« Gereizt blicke ich Rabbee an.
VI
Dass ich mit Rabbee zusammenkam, war kein Bruch in meinem Leben. Es war nicht so, dass ich schwul geworden wäre. Mir gefiel seine Art zu reden, sich zu bewegen, seine Spontaneität, und es gab immer Themen, über die wir uns unterhalten konnten. Dass er ein Mann war, dass wir beide Männer waren, spielte keine besondere Rolle, sollte keine besondere Rolle spielen. Wenn man sich angezogen fühlt, sollte man dem auch nachgehen, dachte ich und empfand das fast ein wenig als Erleichterung – als würde ich damit eine der letzten sinnlosen Regeln in meinem Leben brechen. Unser Sex, ich hatte davor noch nie mit einem Mann geschlafen, war erst irritierend, das heißt beschämend, von einer Peinlichkeit erfüllt wie ich sie seit der Pubertät nicht mehr gespürt hatte, dann einige Zeit berauschend und schließlich nicht mehr so wichtig. Ich habe nie daran geglaubt, dass sich Beziehungen in erster Linie über Sex definieren.
Ob Katharina mit dieser – nennen wir es: Veränderung in meinem Leben Probleme haben würde, beschäftigte mich nicht weiter. Wir waren uns seit einem Jahr aus dem Weg gegangen, und uns beiden musste klar sein, dass es früher oder später andere Menschen in unserem Leben geben würde. Also habe ich versucht, Hanna gegenüber so selbstverständlich wie möglich mit der neuen Situation umzugehen. Sie kam mit uns, wenn Rabbee und ich Ausflüge machten, wir erklärten ihr, dass nicht nur Frauen und Männer, sondern auch Männer und Männer oder Frauen und Frauen zusammenleben können; dass es gar nicht so einfach ist zu sagen, was Männer und Frauen ausmacht. Sie hat das normal gefunden. In unserer Nachbarschaft gibt es zu viele unterschiedliche Lebensformen, als dass eine Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte. Dabei wäre es einfach, wenn ich meine Unfähigkeit, Hanna zu erreichen, mit Rabbee entschuldigen könnte. Es wäre bequem, ich müsste mir keine weiteren Fragen stellen.
Am Nachmittag: mit der U-Bahn an den Strand. Die Bahnstrecke führt oberirdisch am rechten Ufer der Ria entlang. Früher galt diese Seite des Flusses als Wohngegend der reichen Leute, während auf dem linken Ufer die Stahlhütten, Werften und Arbeiterquartiere angesiedelt waren. Auch wenn das linke Flussufer aufgeholt hat, sticht der Klassenunterschied immer noch ins Auge: Villen, Apartmentblocks, Clubs.
Noch im Stadtgebiet von X steigen wir aus und folgen ein paar Jugendlichen, die Surfbretter unter den Armen tragen, verwöhnt aussehen und sich den Botschaften der Sportindustrie entsprechend kleiden. Ich denke, dass es hier so etwas vor zwanzig Jahren nicht gab: Jugendliche, die angepasst aussehen. Auch das hat sich geändert: Markenartikel und Trendsportarten prägen das Stadtbild. Ein beliebtes Thema ist der Kauf einer Eigentumswohnung.
Das Wetter schlägt um: Es ist plötzlich dunstig und nicht mehr so heiß. Dichter Nebel steht über dem Meer und schwappt in Wellen aufs Festland hinein. Wenn einen die schubweise hereintreibenden Dunstschwaden einhüllen, spürt man die Temperatur schlagartig fallen. Feuchtigkeit kondensiert auf der Haut.
In der Nähe eines Strandkiosks setzen wir uns in den Sand. Links sieht man einen Industriehafen, der sich als leere, überdimensionierte Anlage am Küstenstreifen westlich der Ria erstreckt – mit einer gewaltigen Betonmauer, vor der noch gewaltigere Wellenbrecher im Meer versenkt worden sind. Nur
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