Der bewaffnete Freund
gehört habe. Mir schießt durch den Kopf, dass Rabbee diese Musik mit Pat Metheny oder Herbert Grönemeyer vergleichen könnte. Um dem zuvorzukommen, beginne ich von der illegalen Literaturzeitung zu erzählen, an der Ordorika in den siebziger Jahren beteiligt war, aber Rabbee, scharfzüngiger Musikkritiker und Autor von Texte zur Kunst, erweist sich gnädig: »Bisschen wie Tom Waits, etwas glatt, nicht mein Ding, aber kann man schon hören.«
Er setzt sich, nur mit einem Handtuch bekleidet, in die Küche, um zu frühstücken.
In diesem Moment klingelt das Telefon.
Katharina ist am Apparat.
»Alles schön bei euch?«, frage ich. »Habt ihr gutes Wetter?«
Zu meiner Erleichterung lacht sie auf. »Hier ist immer gutes Wetter. Weißt du doch.«
Richtig, denke ich, auf Armins Mühle fallen die Temperaturen im Sommer selten unter dreißig Grad. »Ich meine, nicht zu gut. Also – habt ihr zu gutes Wetter?«
»Ist okay«, kehrt Katharina zu einem reservierten Tonfall zurück.
»Und Hanna?«, ich seufze. »Ist sie okay?«
»Ja.« Katharina zögert einen Moment. »Nur den ersten Tag war sie völlig überdreht … Was habt ihr bloß mit ihr angestellt?«
Diesmal bin ich es, der für einen Moment schweigt. Ich frage mich, woran es liegt, dass wir keine zwei Sätze unbefangen wechseln können.
»Nichts«, sage ich verunsichert. »Warum?«
»Alex … Ich brauche noch eine Unterschrift von dir. Sagst du mir schnell deine Adresse?«
»Ich mail sie dir.«
»Sag sie mir jetzt.«
»Ich hab sie nicht im Kopf.«
»Es geht um den Tagesmutterplatz. Wenn ich das nicht bis Mittwoch erledige, verliere ich den Anspruch.«
Ich sage ihr, dass sie sich auf mich verlassen kann.
»Ohne Tagesmutter bin ich aufgeschmissen.«
»Ja!«
Wahrscheinlich hat unser Problem damit zu tun, dass Katharina weiß, dass sie sich im Ernstfall eben nicht auf mich verlassen kann.
»Wann kommt ihr an?«
Vor dem Urlaub habe ich sie dazu überredet, mich mit Hanna in X zu besuchen und von hier aus nach Deutschland zurückzufliegen. Jetzt wird mir bei dem Gedanken, dass sich ihr Aufenthalt mit dem Rabbees überschneiden könnte, flau im Magen. Ich kann mir nicht mehr erklären, warum ich mich darauf eingelassen habe.
»Wir fahren Dienstag los«, sagt sie.
Ich beginne zu rechnen.
»Aber wir besuchen noch Christian in Madrid.« Sie betont das, als müsste mich das beunruhigen. »Wir sind nicht vor Freitag in X.«
Freitag, denke ich, Rabbees Flug geht zwei Tage früher.
»Kann ich Hanna sprechen?«, frage ich.
»Ich rufe von einer Telefonzelle an.«
»Ich gebe dir die zwei Euro zurück.«
»Ich hab nicht so viel Münzgeld.«
»Lass mich doch so lang reden, wie das Geld reicht.«
Mit einem Schnaufen verabschiedet sie sich. Ich höre ein Knacken in der Leitung.
»Hallo, Hanna, Schatz.«
Keine Antwort.
»Tigerin, ich vermisse dich«, schiebe ich hinterher, ohne es wirklich zu meinen. Ich liebe Hanna, sie ist meine Tochter, aber wenn ich ganz ehrlich bin, vermisse ich in diesem Augenblick niemanden. Ich wäre am liebsten allein, würde durch die Stadt streifen, mit der U-Bahn an den Strand fahren, aufs Meer schauen.
»Was hast du heute gemacht?«
Schweigen.
»Hast du mit dem Igel gespielt?«
Mit Hanna ist es oft lustig. Wenn wir Zeit zusammen verbringen, finden wir immer ein gemeinsames Spiel. Doch ich vermisse sie nicht. Mit fast vierzig Jahren scheine ich immer noch die emotionale Reife eines Teenagers zu haben, der sich für Camus’ Fremden begeistert und sich als einsamer Rebell und Vagabund imaginiert. Ich frage mich, ob es diesen existenzialistischen Bruch der Wahrnehmung jemals wirklich gegeben hat. Man steht außerhalb der Welt und betrachtet sie, als befinde man sich hinter einer Glasscheibe. Oder war das nie mehr als ein kitschiger Trick?
›Du redest abstrakt, weil du dir deine Gefühle nicht eingestehst‹, sagt Katharina, wenn wir miteinander reden. Oder vielmehr: sagte Katharina, als wir noch miteinander redeten. Ich habe dann meistens mit den Schultern gezuckt. Eigentlich ist es viel schlimmer. Es gibt Momente, da ist abstraktes Reden für mich die einzige Verbindung zur Außenwelt.
»Papa.« Endlich reagiert Hanna. Sie fragt mich nach ihrer Katze. »Hast du Leyla gesehen?«
»Ich bin doch gar nicht in Berlin. Leyla ist bei euch zu Hause … aber hier, wo ich bin, gibt es auch eine Katze. Und die möchte dich unbedingt kennen lernen.«
Was für eine blöde Bemerkung, denke ich, was für eine idiotische
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