Der bewaffnete Freund
die Organisation / Bande / Gruppe, deren Name in aller Munde ist, zu etwas Unsagbarem geworden. Jede Bezeichnung sorgt für Ein- und Ausschluss. Man ordnet sich durch die gewählte Bezeichnung einem der verschiedenen Lager zu. Mit der Wahl des Begriffs scheint alles gesagt zu sein.
Katharina, Hanna und ich fahren aufs Land, in die Berge, Richtung Osten. Auf der Autobahn schafft man die Strecke in weniger als einer Stunde. Die Sonne scheint, die Viehweiden glänzen hellgrün. Die Nacht über hat es geregnet.
Sprechverbot II:
Mitte der neunziger Jahre beginnt der Ermittlungsrichter Baltasar Garzón, der als Jäger lateinamerikanischer Militärdiktatoren weltweite Berühmtheit erlangt, aber keinen einzigen Verantwortlichen des spanischen Faschismus angeklagt hat, Hunderte von Vereinen und Organisationen zu verbieten, die angeblich zur Bande gehören. So wie die unsagbare Organisation ihre Angriffsziele ausweitet, treffen auch die Verbote einen immer größeren Kreis. 2003 nimmt der Ermittlungsrichter eine linksliberale, in der marginalen Sprache gedruckte Tageszeitung ins Visier. Führende Mitarbeiter werden festgenommen und gefoltert, darunter auch der Chefredakteur. Im Regionalparlament berichtet dieser einige Monate später über die Misshandlungen, ohne dass seine Aussagen in der europäischen Öffentlichkeit auch nur den geringsten Widerhall finden würden. Im gleichen Jahr boykottieren Kinoverleihe auf Druck der Regierungspartei einen Dokumentarfilm von Julio Medem, in dem auch Fürsprecher der Unabhängigkeit zu Wort kommen. Konzerte des Dub-Sängers Fermin Muguruza, auf dessen Label Musiker aus Lateinamerika, Afrika und Europa ihre Platten herausbringen, werden außerhalb der Region um X seit Jahren regelmäßig verboten, weil der Musiker Muguruza auch als politischer Aktivist bekannt ist. Die Radiostationen sind angewiesen, seine Songs nicht zu spielen. Im Februar 2004 entzieht der Gemeinderat der Hauptstadt Navarras, deren Name – für die einen nur Pamplona, für die anderen unbedingt Irunea – gesagt werden kann, weil sie zwar kulturell, aber nicht verwaltungstechnisch zu der Region um X gehört, einer Ausstellung über Buchproduktionen die Räumlichkeiten, weil auf einer der Schautafeln auch der flüchtige Schriftsteller Joseba Sarrionandia abgebildet ist. Und selbst Bernardo Atxaga, der sich, als bekanntester Autor der marginalen Sprache, für eine föderale Lösung in Spanien ausspricht, wird zur Zielscheibe von Angriffen. In El País wird, ebenfalls 2004, sein Roman »Der Sohn des Akkordeonspielers« unter anderem deswegen verrissen, weil es darin auch um die Geschichte der Organisation/Bande geht. Allerdings führt die Besprechung in diesem Fall zu heftigen Auseinandersetzungen in der Redaktion, was wohl auch damit zu tun haben dürfte, dass das große Verlagshaus Alfaguara ebenso wie El País zum Medienkonzern Prisa gehört und Verrisse im Kulturteil des Blattes deshalb nicht gewohnt ist.
Ein Stück südlich der französischen Grenze führt die so genannte Bergautobahn von der Küstenstraße Richtung Pyrenäen hinauf. Man überquert einen achthundert Meter hohen Pass. Die Landschaft erinnert ans Allgäu: Felswände, Viehweiden, Wälder. Die vierstöckigen Bauernhäuser der Region sind kompakt gebaut. Die Wände bestehen aus großen Quadern, die im Winter Schutz vor der Kälte bieten. Früher war im Untergeschoss das Vieh untergebracht, auf dem Speicher lagerte das Heu – auf diese Weise heizte die Wärme der Tiere die Stube, das Dach war gedämmt. Irgendwie erinnern diese Häuser an Festungen.
Sprechverbot III:
Am 21. November 2000 erschoss die Organisation den Universitätsprofessor Ernest Lluch in Barcelona. Lluch, Gesundheitsminister der ersten sozialistischen Regierung 1982-86, galt als Föderalist und Befürworter einer Autonomiereform. In einem Artikel kurz vor seinem Tod schrieb er, es sei falsch, zwischen einer heroischen und einer kriminellen Phase der Organisation zu unterscheiden. Damit wandte er sich gegen die vielen prominenten Kronzeugen, die in den sechziger und siebziger Jahren selbst Mitglieder der Organisation gewesen waren und sich später von ihr distanziert hatten. Lluch verwies darauf, dass auch bei den ersten Anschlägen während der Diktatur Unbeteiligte ums Leben gekommen waren und man deshalb von einer »Ursprungssünde« sprechen müsse. »In einer Untersuchung, die ich teilweise veröffentlicht habe, konnte ich nachweisen, dass der erste Tote der
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