Der bewaffnete Freund
sich um. »Sollen wir nachher zu den Kühen gehen? Die kann man melken. Dann haben wir frische Milch.« Fragend blickt mich Katharina an. »Deine Familie, die haben doch Kühe, oder?«
Ich nicke.
»Möchtest du das?«, wiederholt Katharina ihre Frage.
Hanna antwortet nicht.
»Du wolltest doch immer Kühe melken.«
Die Kleine nickt schüchtern.
Vielleicht habe ich Katharina nur deswegen vorgeschlagen, zusammen auf den Hof zu fahren, weil ich vorführen möchte, dass man ein guter Vater sein kann, obwohl man getrennt von seinem Kind lebt. Montserrats Mutter machte mir Vorwürfe, als ich erzählte, dass Katharina und ich nicht zusammen wohnen. Ihrer Meinung nach brauchen Kinder die ständige Nähe beider Eltern: »ein richtiges Heim«. Was Montserrats Mutter von mir denken würde, wenn sie von meinem Verhältnis zu Rabbee wüsste, will ich mir besser nicht vorstellen. Das Schwulsein würde sie vielleicht noch ertragen. Sie hat sich mit ihren Kindern entwickelt und könnte sich, glaube ich, damit arrangieren, wenn jemand in der Familie eine homosexuelle Beziehung hätte. Aber diese Beziehung müsste geordnet sein. Eindeutig Familienvater oder eindeutig schwul. Beides geht nicht.
»Man muss sich entscheiden«, hat sie zu mir gesagt, als ich ihr von Katharina, Hanna und mir erzählte.
Wir rollen am Dorfplatz vorbei, der auf zwei Seiten von hohen Mauern umgeben ist – ein Pelota- Feld . Ein paar Kinder schlagen Gummibälle mit der offenen Handfläche gegen die Wand. An der Seitenmauer steht in großen, sorgfältig gemalten Lettern nach Hause, gemeint sind die politischen Gefangenen. Etwas weiter, hastiger und kleiner geschrieben, der Name von Zubietas Organisation. Katharina bringt den Wagen vor einem Bauernhaus zum Stehen, und ich steige langsam aus, leicht verunsichert, weil ich nicht weiß, wie Montserrats Familie reagieren wird. Letztlich wäre mir beides unangenehm: als Paar gesehen zu werden genauso wie als gescheiterte Beziehung mit Trennungskind dazustehen.
Montserrats Mutter, eine fast siebzigjährige Frau, legt eine ihrer bemerkenswertesten Qualitäten an den Tag: eine unaufdringliche Begrüßung, die dennoch das Gefühl vermittelt, willkommen zu sein. Ich stelle ihr erst Hanna, dann Katharina vor. Als wir das Haus betreten, spüre ich die Temperatur der Luft schlagartig fallen.
Leicht modriger Holzgeruch steigt mir in die Nase.
In der Stube treffen wir Antonio, einen von Montserrats Brüdern. Er sitzt vor dem Fernseher und sieht sich ein Radrennen an. Er lächelt, und doch ist seine Begrüßung knapp, als wäre ich nur ein paar Tage fort gewesen.
Das Kind nimmt er sofort auf den Schoß.
Das Gefühl, endlich zu Hause angekommen zu sein.
Sonnige, harmonische Tage in G. Wir treiben Kühe auf die Weide, misten Hühnerställe aus, jäten Beete, besteigen den Hausberg. Man könnte glauben, wir seien eine glückliche Kleinfamilie, die sich in eine glückliche Großfamilie integriert, und angesteckt von der Ferien-auf-dem-Bauernhof-Stimmung schließen selbst Katharina und ich für einige Tage Frieden. Es ist, als befänden wir uns außerhalb von Zeit und Raum, an einem Ort, der eine ganz eigene Welt repräsentiert.
Erst am Morgen vor unserer Abfahrt holt mich die Realität wieder ein. Ich begleite Antonio zur Allmende, die Weiden und Wälder oberhalb des Dorfs sind Gemeindeland. Nebelbänke liegen in den Niederungen, der Herbst setzt dieses Jahr früher ein als sonst.
Von Montserrats Familie ist mir Antonio immer am nächsten gewesen. Als Zwanzigjähriger saß er als Kriegsdienstverweigerer zwei Jahre im Gefängnis, er ist der einzige in der Familie, der als Jugendlicher herumgereist ist, den Kitsch der Unabhängigkeitsbewegung hat er nie mitgemacht und sich doch nie von ihr distanziert.
Wir erreichen die Weidefläche. Die Kuh, die Antonio zum Kalben ins Tal bringen will, ist nicht zu sehen. Wir durchkämmen Gestrüpp und Bachbetten, ich frage Antonio, wie es Jon, seinem jüngeren Bruder, geht, der vor zwei Jahren verhaftet und gefoltert worden ist. Er antwortet, dass der Jüngere sich so oft wie möglich vom Arbeitgeber ins Ausland schicken lasse. Die Firma, für die er arbeitet, installiert Papierfabriken. »Er kommt nur alle vier Monate nach Hause … Im Moment ist er in Italien.«
»Und?«
Achselzucken.
»Das mit der Verhaftung«, frage ich, »hat er das verarbeitet?«
Antonio kneift die Augen zusammen, die Sonne blendet uns. »Kann man das?«
Wir laufen eine Weile schweigend über die
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