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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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dritte im September, sage ich doch etwas anderes. Ich komme vom Strand, es ist noch einmal sehr warm geworden. Ich trage eine Tasche mit Büchern unter den Arm geklemmt, das Badetuch, leicht feucht, um den Hals geschlungen, und sehe den Mann schon beim Verlassen des U-Bahnausgangs an der Straßenecke warten. Langsam gehe ich auf ihn zu, jeder Schritt fällt mir schwer. Ich könnte mich umdrehen und verschwinden.
    Aber ich drehe mich nicht um.
    »Alles klar?«, frage ich, als wir uns gegenüberstehen.
    »Hast du nachgedacht?«, sagt er.
    »Ja.«
    »Und?«
    »Ja«, sage ich erneut.
    Er blickt mich an. Seine Pupillen glänzen wässrig, verbraucht.
    »Ich fahre ihn«, schiebe ich erklärend nach. »Ich bin ihm das schuldig.«
    »Gut«, antwortet er. Mehr nicht.
    Wir entfernen uns ein Stück von meiner Wohnung, laufen durch Nebenstraßen, bis der Mann schließlich ein kleines Restaurant ansteuert. Er will mich zum Essen einladen, aber ich habe keinen Appetit. Wir plaudern eine Weile über das Wetter und die Strände in der Nähe von X.
    Als ich unser eigentliches Anliegen schon fast wieder vergessen, es verdrängt habe, zückt er einen französischen Autobahnführer und drückt ihn mir in die Hand.
    »Sie schicken sieben Termine. Du kannst dir einen aussuchen.«
    »Sieben?«, frage ich. »Hat das was zu bedeuten?«
    Zazpiak bat, sieben Provinzen ergeben ein Land, behauptet ein Spruch, der hier in vielen Kneipen über dem Tresen hängt, sieben Jahre habe ich Zubieta nicht gesehen, sieben Jahre ist er älter als ich.
    »Wieso? Was soll das bedeuten?«, fragt der Mann mit dem Leguanhals.
    Ich wähle den erstmöglichen Termin. Besser die Sache schnell hinter mich bringen, denke ich. Besser als die Angst wochenlang mit sich herumzutragen.
    Der Mann wirft einen Blick auf eine Zahlenliste, die er aus dem Portemonnaie zieht. Jeder Termin hat eine Nummer. Er schlägt den Autobahnführer auf, die Raststätten sind nummeriert. Jeder Termin steht für einen anderen Treffpunkt. Der Mann sucht die entsprechende Raststätte heraus und zeigt mir, wo sie liegt.
    In der Nähe von Toulouse, vielleicht fünfhundert Kilometer von X entfernt.
    Eine andere Welt.
    »Gewissenhaft vorbereitet«, sage ich.
    Der Mann nickt stumm.
    »So gewissenhaft, dass eigentlich etwas schief gehen muss.«
    »Müssen muss gar nichts«, antwortet er.

XIII
    In »Zur Kritik der Gewalt« unterscheidet Walter Benjamin zwischen rechtsetzender und rechterhaltender Gewalt – die erste etabliert eine Ordnung, die zweite erhält sie. Recht und Gewalt sind dadurch miteinander verschränkt: »Rechtsetzung«, schreibt Benjamin, »ist Machtsetzung und insofern ein Akt von unmittelbarer Manifestation der Gewalt.« Was als Recht gilt, wird mit Gewalt festgesetzt und muss immer wieder in Statuierungen von Gewalt bekräftigt werden.
    Carl Schmitt, autoritärer Staatsrechtler und Theoretiker des Ausnahmezustands, formuliert das ähnlich – allerdings von einem entgegengesetzten Standpunkt. Er behauptet, dass dem Recht die Ordnung vorhergehe, weil niemand sich ohne Ordnung Recht verschaffen könne, Ordnung also immer schon durchgesetzt sein müsse. Die Herstellung eines solchen Ordnungszustands nennt Schmitt den »selbständigen Moment der Entscheidung«. Dies ist der Kern seines Dezisionismus. Recht, so seine These, wird außerrechtlich, nämlich durch die erfolgreiche Ausübung von Gewalt, hergestellt und verteidigt. Von dieser Überlegung zu Schmitts Begeisterung für den Ausnahmezustand ist es nur ein kleiner Schritt. Im Zentrum der Rechtsordnung, schreibt Schmitt, stehe die Suspendierung des Rechts. Erst durch sie erweise sich der Souverän als eben solcher. Oder anders ausgedrückt: Ohne Willkür kein Gesetz und kein Staat.
    Zubieta hat mit seiner Bemerkung über die Gewalt beide zitiert: mit Benjamin den Terror der Legitimität kritisiert, mit Schmitt die Legitimität des Terrors verteidigt. Und es ist nicht das Einzige, was von den beiden ungleichen deutschen Autoren auf meinen Freund verweist. Der jüdische Intellektuelle Benjamin flieht vor den Nazis nach Frankreich. Als die deutschen Truppen auch dort vorrücken, weicht er nach Süden aus, in Richtung spanische Grenze. Dort nimmt er sich, verfolgt von der deutschen Geheimpolizei, im September 1940, wenige Kilometer vor der Grenze, das Leben. Schmitt hingegen hat den Nazis mit dem »Begriff des Politischen« eine Theorie des Auslöschungskampfs geliefert und ist zum NS-Kronjuristen aufgestiegen. Nach internen Intrigen

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