Der bewaffnete Freund
wird er 1936 zurückgestuft, bleibt jedoch Professor und preußischer Kriegsrat. Die Alliierten belegen ihn nach dem Zweiten Weltkrieg mit Lehrverbot, was seinem Einfluss auf zahllose Studentengenerationen allerdings keinen Abbruch tut. In Francos Spanien bleibt Schmitt, der Apologet der Tyrannei, auch nach dem Krieg wohlgelitten. 1962 wird er zum Ehrenmitglied des Instituto de Estudios Políticos, einer Eliteakademie der Diktatur. Der Institutsleiter Manuel Fraga sagt in der Festrede: »Die Politik als Dezision, als Entscheidung, die Rückkehr der personalisierten Macht, die antiformalistische Idee der Verfassung, die Überwindung des Legalitätskonzepts … Das sind die Errungenschaften, hinter die man nicht mehr zurückfallen kann.«
Und so schließt sich am Ende auf seltsame Weise der Kreis: Fraga, der unter Franco bis zum Innenminister aufsteigt, spielt in der so genannten demokratischen Normalisierung eine Schlüsselrolle. Nach dem Tod des Diktators wird er zum Führer der spanischen Konservativen und sichert die Kontinuität von Diktatur zu demokratischer Monarchie unter dem von Franco eingesetzten König Juan Carlos. In die Madrider Regierung kehrt Fraga zwar nicht mehr zurück, aber er bleibt Ehrenvorsitzender der Konservativen. Er wird das Symbol für jene Verhältnisse, die Leute wie Zubieta bis heute nicht akzeptieren wollen. Ein Symbol für Ordnung und Terror, für die autoritäre Gewalt des Normalzustands.
Eine Woche später, auf der französischen Seite, ich sitze hinter dem Steuer. Links und rechts gleiten Lärmschutzwälle vorbei, die Böschung an der Autobahnbegrenzung zurrt zu einem ockerfarbenen Strich zusammen, der Asphalt schimmert matt.
Auch diesmal wäre es nicht schwer, mich meiner Verabredung zu entziehen. Ich könnte sagen, dass ich zur falschen Raststation gefahren, ein paar Stunden zu früh oder zu spät angekommen bin, den Mann mit dem Leguanhals nicht richtig verstanden habe. Wir haben bei unserer Verabredung nichts schriftlich festgehalten. Aber ich fahre weiter. Ich habe es Zubieta versprochen, dem Schriftstellerbefreier, Chef der Organisation. Meinem Freund.
Weich rollt der Renault über den Asphalt.
Grell schießt die Sonne durch das Fahrzeugheck.
Schnell, ein Aufblitzen in den Augenwinkeln, fallen Abfahrten und Straßenschilder hinter mir zurück.
Ich lege eine CD mit Kinderliedern ein, die Hanna vor einigen Wochen im Auto vergessen hat: zwei Elefanten auf einem Spinnennetz …
Bei unserer Verabredung wollte mir der Mann mit dem Leguanhals Geld für Benzin und Autobahnmaut in die Hand drücken. Ich habe den Kopf geschüttelt. Geld sei kein Problem, bekräftigte er, ich müsste mir nichts dabei denken. Die Unternehmer würden Abgaben an die Organisation zahlen, Revolutionssteuern, Teil des Mehrwerts, den sie zuvor ihren Arbeitern abgepresst haben, hat der Mann gesagt. Auch er offensichtlich ein Kind der Siebziger.
Ich habe es trotzdem nicht genommen. Weniger wegen moralischer Bedenken als aus Angst.
Der Blick in den Rückspiegel. In Frankreich als Mitglied der Organisation festgenommen zu werden hat den Vorteil, dass man nicht gefoltert wird. Dafür sind die Haftbedingungen schlechter als auf der spanischen Seite: weniger Besuch, kalte, feuchte Zellen aus dem 19. Jahrhundert, Abschirmung von den anderen Insassen.
Ein Stück hinter Pau verlasse ich die Autobahn, um einen Kaffee zu trinken. Ich bin müde. Drei Stunden, habe ich überschlagen, dauert die Fahrt von der Grenze bis zur Raststätte bei Toulouse. Ich parke den Wagen und betrete die Cafeteria. Um den Automaten herum hat sich eine Traube Fernfahrer gruppiert. Ich reihe mich in die Schlange der Wartenden ein, werfe eine Münze in die Maschine und wähle einen Capuccino, der sich als überzuckert herausstellt. Früher, als wir in den Schulferien nach Süden trampten, standen wir oft an den Tischen neben den Getränkeautomaten, um LKW-Fahrer anzusprechen. Die Frage nach dem hike beherrschten wir viersprachig, im Französischen verwendeten wir den höflichen Konditional I: Pourriez-vous nous emmener en direction de l’Allemagne?
Ich habe den Instant-Capuccino noch nicht ganz ausgetrunken, als ich bereits aufs Klo muss.
Durchfall ist immer ein sicheres Anzeichen dafür, dass mich eine Situation überfordert.
Kurz vor fünfzehn Uhr treffe ich am vereinbarten Ort ein. Wie ein Mantra sage ich mir vor, dass Zubieta nicht erscheinen wird. Bitte, spreche ich mir vor, lass etwas dazwischen gekommen sein, mach, dass
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