Der bewaffnete Freund
sie nicht auftauchen – als gebe es eine höhere Instanz, die darüber zu entscheiden hätte. Ich hoffe auf einen Fehler, ein Missverständnis, eine Terminänderung.
Einen Fehler, ein Missverständnis.
Ich rolle an den Zapfsäulen vorbei. Niemand steht vor dem Schaufenster neben der Tankstellenkasse.
Erleichtert lenke ich den Wagen an Familien vorbei, die an einem Picknicktisch sitzen, steuere eine Parklücke an, überprüfe die Uhrzeit, greife nach der hellblauen Hypermarché- Tüte,die wir als Erkennungszeichen vereinbart haben.
Die Autobahnraststätte macht, im spätsommerlichen Nachmittagslicht, einen friedlichen Eindruck.
Gelassen, vergleichsweise gelassen, schreite ich auf die Tankstelle zu. Auch vor der Cafeteria ist niemand zu sehen, der als Mitglied der Organisation in Frage käme. Ich schaue auf die Uhr. Länger als fünfzehn Minuten werde ich nicht warten.
Und komme doch nicht bis zum Eingang des kleinen Geschäfts.
Neben einem Lastwagen, Huelvafrutas steht auf der Plane des LKW, der Obst aus den andalusischen Anbaugebieten nach Nordeuropa, vielleicht auch illegale afrikanische Einwanderer von Tarifa nach London, transportiert, einen der wenigen Orte Europas, wo man als Farbiger nicht zwangsläufig in erster Linie Träger einer Hautfarbe ist, es sei denn, man sieht aus wie ein Moslem, steht ein Mann mit einer Computerzeitschrift unter dem Arm.
Das zweite vereinbarte Erkennungszeichen.
Der Fremde ist jung, höchstens 28.
»Gute Fahrt gehabt?«, fragt er. An seinem Ohrläppchen glänzt ein kleiner, Ring.
»Keine Kontrollen«, antworte ich, »nichts Auffälliges.«
»Möchtest du dich ausruhen? Einen Kaffee trinken?«
Eigentlich bin ich erschöpft von der Autofahrt, sehr erschöpft, aber ich kann mir nicht vorstellen, neben einem Mitglied der Bande, einem Terroristen, auf der Raststätte zu stehen, mich den Blicken anderer Reisender auszusetzen und dabei entspannen zu können.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir gleich weiterfahren«, antworte ich. »Ist es weit?«
» Comme ci, comme ça«, sagt der Fremde.
Es sind noch fast zweihundert Kilometer.
Wir lassen Toulouse rechts liegen und halten uns Richtung Nordosten. Ich versuche die Orts- und Straßenschilder zu ignorieren; umso weniger ich weiß, desto besser. Mein Beifahrer sitzt neben mir, nur an Abzweigungen teilt er mir freundlich, aber bestimmt mit, welcher Straße wir folgen müssen. Erneut rauschen Böschungen, Abfahrten, Lärmschutzwälle an uns vorbei. Nach einer Weile lässt mich der Fremde die Autobahn verlassen, eine Bergstraße hinauffahren und in einen Waldweg abbiegen. Für einen Moment glaube ich angekommen zu sein und bin hin und her gerissen zwischen der Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Zubieta und der Angst vor der größer werdenden Gefahr. Bis hierhin könnte ich einen Tramper mitgenommen haben, sobald jedoch Zubieta mit im Wagen sitzt, ist es mit den Ausflüchten vorbei.
Doch wir sind noch nicht angekommen. Der Fremde lässt mich vor einem Holzstapel halten, greift nach seiner Tasche und zückt ein elektrisches Gerät, »ein Wanzensuchgerät«, wie er erklärt, mit dem er Armaturen, Verschalungen und Hohlräume des Wagens zu überprüfen beginnt. Hochkonzentriert, als dürfe ihm nicht das geringste Detail entgehen, widmet er sich seiner Aufgabe, und ich frage mich, ob er mir mit dieser Gewissenhaftigkeit vorführen will, dass auf seine Organisation Verlass ist und ich mir deshalb keine Sorgen machen muss oder ob tatsächlich so wichtig ist, was er da tut. Als er fertig ist, auch Karosserie und Motor mit dem Gerät abgetastet sind, fordert er mich auf, den Wagen zu starten, und wiederholt die Prozedur bei laufendem Motor.
»Einmal haben sie uns einen GPS-Sender an die Lichtmaschine gehängt. Das Ding hat nur gefunkt, wenn man gefahren ist … Sie konnten per Satelliten die ganze Zeit sehen, wo wir sind.« Doch schließlich nickt er zufrieden. »Alles gut. Wir können ganz entspannt reden.«
Sehr entspannt wirken wir auch danach nicht. Wir diskutieren kurz über die Situation in der Region um X, in der der Fremde seit zehn Jahren nicht gewesen sein will. Er muss zu denjenigen gehören, die als Jugendliche untertauchten, als man nach einer Gesetzesänderung in den neunziger Jahren für das Anzünden eines Containers zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt werden konnte – fünf Mal länger als für eine Vergewaltigung. Aber der Fremde, der mit Zubieta zu tun hat, also mit dem Kopf der Organisation in Kontakt steht
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