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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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hochbegabt. Er hat keine Karriere gemacht. Er hat einen Freund, einen Genossen, aus einem »Quadratmeter Traurigkeit«, wie es im Lied heißt, geholt und ist untergetaucht: 21 Jahre ist das her. Außerdem ist es keineswegs so, dass ich alles falsch fände, was seine Organisation in dieser Zeit gemacht hat. Es gibt da mehr als nur Tote.
    »Du musst dich nicht sofort entscheiden«, sagt der Fremde mit dem Leguanhals. »Überleg’s dir in Ruhe. Wir haben kein Interesse daran, dass uns Leute helfen, die es später bereuen.«
    »Nein?«, frage ich zweifelnd.
    »Nein«, antwortet er ernst.
    »Sie fahnden nach ihm.«
    Der Fremde zuckt mit den Achseln. »Nicht mehr als sonst. Die Nachricht im Fernsehen war eine Ente. Unser Freund ist nach wie vor auf der anderen Seite.«
    »Warum?« frage ich. »Warum erfinden die so was?«
    »Vielleicht hat die Fahrt, die du machen sollst, genau damit zu tun.«
    Ich weiß nicht, ob die Antwort als Frage oder als Feststellung gemeint ist.
    Von der Ausfallstraße ein paar Hundert Meter weiter dringt Verkehrsrauschen herüber. Dumpf brandet es an.
    Der Wunsch nach einem Zeichen von Vertrautheit.
    »Wie lang hast du gesessen?«, frage ich schließlich.
    Er weiß viel über mich, zu viel. Jetzt muss er sich eine Blöße geben.
    »18 Jahre«, sagt der Mann trocken, als wäre das nichts.

XII
    Nachts aufgewacht, das Hemd durchgeschwitzt. Über X hängt der Schleier hoch in der Atmosphäre stehender Zirruswolken, angeblich untrügliches Zeichen für ein heranziehendes Hochdruckgebiet. Die Straßen sind um diese Zeit, im ersten Morgengrauen, von winzigen Tautropfen überzogen. Als ich das Fenster aufstoße, strömt der Geruch von Salz, Maschinenöl und Seetang ins Schlafzimmer.
    Mein Traum: Ich sitze am Steuer eines Lieferwagens, neben mir eine Frau, die Montserrat und zugleich Rabbee ist und nervös nach hinten blickt. Ich merke, dass man uns folgt, ich drehe den Kopf und stelle fest, dass der Lieferraum voller Afrikaner ist, Leute, die nachts im Schlauchboot durch die Meerenge von Gibraltar gekommen sind. Ich höre, dass aus dem Wagen, der mit quietschenden Reifen hinter uns fährt, auf uns geschossen wird. Wie in einem schlechten Film.
    Ich werde nervös, aber kann nicht sprechen. Mein Mund ist verklebt. Die Schüsse, die ich pfeifen höre, bleiben unwirklich, bis eine Kugel die Person neben mir auf dem Sitz trifft und ihren Körper durchschlägt. Ich drehe mich erneut um, diesmal ist der Lieferraum leer. Die Afrikaner sind spurlos verschwunden. Mein Blick fällt auf die Frau, die gleichzeitig Montserrat und Rabbee ist und an der ich sehr hänge. Blut schießt aus ihrem Körper und ergießt sich über den Sitz, über die Fußmatte vor ihr, ergießt sich in der ganzen Fahrerkabine. Im Kunststoffbezug bildet sich ein dunkler, schnell wachsender, klebriger Fleck.
    Ich reiße den Mund auf, aber ich kann nicht schreien.
    Es gibt keine Worte. Das, worum es geht, ist unsagbar.
    Also trete ich das Gaspedal durch und versuche das Tempo des Lieferwagens weiter zu erhöhen.
    Als ich im Rückspiegel erkenne, dass das uns verfolgende Fahrzeug ein Streifenwagen ist, denke ich an Hanna, meine Tochter.
     
    Ich habe bereits eine gemeinsame Fahrt mit Zubieta hinter mir. Nur dass er es damals war, der gefahren ist.
    Von Manaus am Amazonas geht eine asphaltierte Straße nach Boa Vista, Roraima. Es heißt, die Hauptstadt des nördlichsten brasilianischen Bundesstaats zähle zu den Boomtowns, den am schnellsten wachsenden Ballungsräumen des Landes. Viehzucht, Diamanten- und Goldvorkommen locken jedes Jahr Zehntausende aus den brasilianischen Armutsgebieten an. Die Savanne oben im Norden sieht ganz anders aus, als man sich Amazonien vorstellt. Staubige Graslandschaften, vereinzelte Palmen, kleine Wälder an den Flussläufen, die venezolanischen Tafelberge am Horizont. Doch auch in den näher bei Manaus gelegenen und auf den Karten dunkelgrün verzeichneten Landstrichen trifft man heute nur noch selten auf Wald. Neben der Straße erstrecken sich Rinderfarmen, so weit das Auge reicht, auf denen sich die Habenichtse, wie zuvor in ihren Heimatdörfern bei Recife, als Tagelöhner, manchmal sogar als Sklaven verdingen.
    Auf einer Fazenda in dieser Gegend, zwischen gerodetem Urwald, Savanne und den Ausläufern des Grenzgebirges, war es während meines Aufenthalts zu einer Besetzung gekommen, erstmals hatten sich Landlose mit Indianern gegen die Besitzer der Farmen verbündet. Die Bundespolizei war eingeflogen worden, es

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