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Der bewaffnete Freund

Der bewaffnete Freund

Titel: Der bewaffnete Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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und sich in ihrem innersten Kreis bewegt, sagt nichts, was nicht auch in Tageszeitungen zu lesen wäre. Sehr politisch, denke ich, ist er nicht.
     
    Es dämmert. Wir verlassen die Bergstraße, die sich als Route Nationale entpuppt hat, kommen an Scheunen und verlassenen Weiden vorbei, sehen einen Hirten eine Schafherde über ein abgeerntetes Sonnenblumenfeld führen, biegen auch von dieser Landstraße ab und rollen über einen Kiesweg auf ein unscheinbares Ferienhaus zu, mit zur Straße verschlossenen Fensterläden.
    Der Fremde befiehlt mir, die Scheinwerfer aufzublenden – zweimal lang, einmal kurz. Das Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Kurz darauf öffnet sich im Anbau des Ferienhauses eine Garagentür von innen.
    Ich fahre den Wagen hinein.
    »Voilà«, sagt der Fremde. »On y est.«
    Und tatsächlich, da sind wir: im wichtigsten Versteck der Organisation, dem Hauptquartier, Zubietas Unterschlupf. In kurzen Abständen läuft es mir heiß und kalt durch den Körper.
    Das Garagentor schließt sich hinter uns, mein Beifahrer steigt aus.
    »Ist Zubieta nicht hier?«, frage ich, weil ich den Freund hinter der Tür erwartet habe und stattdessen eine Frau auf uns zukommt.
    Doch mein Beifahrer antwortet nicht. Er stürzt sich in die Arme der Frau, die deutlich älter ist als er, Ende dreißig, und umarmt sie innig, als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen und müssten alle verpassten Berührungen nachholen.
    Vielleicht haben sie sich eine Ewigkeit nicht gesehen.
     
    Als ich die Reisetasche vom Rücksitz gehoben habe und die Autotür mit einem Klicken hinter mir zufällt, erscheint Zubieta doch noch. Unerwartet steht er im Treppenaufgang, der von der Garage zu den Wohnräumen hinaufführt.
    Ich brauche eine Sekunde, um ihn zu erkennen. Er sieht anders aus als auf den Fotos in der Zeitung. Sein Gesicht, immer noch schmal, wirkt deutlich älter, die Haare sind blond gefärbt.
    »Tudo bem, cara?«, grüßt er auf brasilianisch. »Und? Arbeitest du immer noch bei American Express?«
    »Nein«, antworte ich, um den gleichen verkrampft lockeren Tonfall bemüht. »Ich mache eher einen auf Gefahrengüterspedition … Und du? Du sitzt jetzt Modell für Friseure?«
    Zubieta fährt sich durch das blonde Haar. »Schön, nicht? Ich dachte, wenn ich schon mit einem Teutonen unterwegs bin, sollte ich auch ein bisschen nach Teutone aussehen.«
    »Teutone, okay«, sage ich, »Aber wie ein gefönter Cocker Spaniel?«
    Männerfreundschaft: Wir klopfen uns fest auf die Schultern und lachen, viel zu laut, über die Bemerkung des anderen.
    Sehr geglückt scheint mir dieses Wiedersehen nicht.
    Zubieta führt mich in das große Wohnzimmer im ersten Stock, spärlich eingerichtet, aber trotzdem nicht unfreundlich. Einige Matratzen, zwei Schreibtische mit Laptops, ein Fernseher, ein Bücherregal. An der Wand hängen Teppiche mit guatemaltekischen Motiven. Bunt, handgewebt.
    Zubieta stellt mir seine Genossen vor. Die Frau wird Belén genannt, der Mann, der mich während der Fahrt begleitet hat, Josu.
    »Josu, wie der Chefredakteur der Zeitung, den die spanische Geheimpolizei 1989 erschossen hat«, sagt die Frau, als wolle sie gleich zu Beginn des Gesprächs ein politisches Bekenntnis ablegen.
    »Ihr habt auch einen Haufen Leute umgebracht, die nichts mit der Sache zu tun hatten«, erwidere ich. Sofort ergibt sich, als würden einem vereinbarten Ritual folgend Textbausteine ausgetauscht, die erwartete, immer gleiche Diskussion.
    »Ja, Krieg ist ekelhaft. Aber wir wollen auch keinen Schönheitspreis bekommen, sondern gewinnen.«
    »Krieg«, wiederhole ich spöttisch. »Und was gewinnt man da so?«
    »Immerhin haben wir erreicht, dass endlich über das Recht auf Selbstbestimmung diskutiert wird.«
    »Tolles Recht: eine eigene Polizei, eine Fahne und ein christdemokratischer Ministerpräsident.«
    »Polizei und christdemokratischer Ministerpräsident?«, schaltet sich der junge Mann ein. »Ich kämpfe bestimmt nicht dafür, dass es einen Staat mehr gibt.«
    »Sondern?«
    »Ich für meinen Teil«, behauptet nun wieder die Frau, »kämpfe für Unabhängigkeit und Sozialismus. Das bedeutet für mich Unabhängigkeit: das Recht, frei über die eigene Gesellschaftsform entscheiden zu können. Ohne Unterdrückung und Fremdbestimmung.«
    »Sehr realistisch«, sage ich. »Eine rätekommunistische Insel mitten in einem kapitalistisch-fremdbestimmten Meer.«
    »Wenn man nicht kämpft, ist alles unrealistisch.«
    Zubieta steht grinsend am Holzbalken in

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