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Der Bienenfresser

Der Bienenfresser

Titel: Der Bienenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklaus Schmid
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so doll, meinte er. Becker war begeisterter Jogger. Um ihn auf sein Lieblingsthema zu bringen, fragte ich: »Vorbereitung auf den nächsten Marathon?«
    »Ja, New York, Anfang November«, erwiderte er im
    Stenogrammstil, fand dann aber doch noch Zeit zu schwärmen:
    »Einmal zusammen mit Zehntausenden durch die Straßen, einmal das Vibrieren der Verrazano-Bridge spüren, eine der längsten Brücken der Welt, Staten Island, Brooklyn, die Bronx, der Central Park in Manhattan, meine angestrebte Zeit: vier Stunden.«
    »Das heißt, es ist eine längere Trainingsrunde angesagt.
    Wann, wo?«
    Wir verabredeten uns am Wedau-Stadion.
    Als ich auf den Parkplatz des China-Restaurants einbog, gleich neben der Regattabahn, wartete Becker schon auf mich, ungeduldig trat er auf der Stelle.
    »Kommen Sie, laufen Sie eine Runde mit!«
    Ich zeigte auf meine Füße.
    »Ziehen Sie die Stiefel aus!«, grinste er und setzte sich in Trab. Mir blieb nichts anderes übrig als mitzumachen.
    Zur Einstimmung wechselten wir ein paar Worte über den MSV Duisburg, der mal wieder in einer Krise steckte; die teuren Einkäufe am Ende der Spielzeit hatten nichts gebracht.
    Dann fragte ich, ob es unter den Anrufern neue Anwärter auf den Titel ›Spinner der Woche‹ gebe.
    »Ja, da gibt es einen Nörgler, der sich bislang über irgendwelche Verkehrsschilder oder die Figur von Niki de Saint Phalle aufregt hatte, weil die zu poppig bunt sei. Vor einiger Zeit hat er plötzlich das Thema gewechselt. Nun löchert er die Redaktion mit Anrufen, wir sollten einen bestimmten Leserbrief von ihm abdrucken.«
    »Worum geht es denn da?«
    »Um einen Flugzwischenfall, in den Politiker aus Nordrhein-Westfalen verwickelt sein sollen.«
    »Und – ist da was dran?«
    »Keine Ahnung, Andeutungen, sonst nichts. Der Kerl hat immer was. Morgen kommt er bestimmt mit einer neuen Beschwerde, verlangt dann vielleicht eine Bürgerwehr gegen Kanalratten. Dieser Typ jedenfalls hält Platz Nummer eins auf der Liste ›Spinner der Woche‹.«
    »Und der Künstler, den Sie groß herausbringen sollen?«
    Becker machte eine Geste der Resignation. Wir waren am Ende der Regattabahn, er zog das Tempo an. »Ich habe eben noch die letzten Nachrichten und den Polizeibericht abgehört«, begann er. »Wäre irgendwo Gift in den Rhein geflossen oder ein Minister zurückgetreten, hätte ich dafür Platz schaffen müssen und den Künstler mit gutem Gewissen rausschmeißen können. Aber so.« Er zuckte die Schultern.
    Schweigend näherten wir uns der Sechs-Seen-Platte. Angler, Hunde, Spaziergänger, erste Seitenstiche, Keuchen – bevor mein Leiden schlimmer wurde, fragte ich Becker schnell nach den Taubenzüchtern in Walsum.
    »Der Verein Heimattreu«, begann er, »war damals, als es um den Abriss der Siedlung ging, sozusagen das Zentrum des Widerstands. Dort wurden Flugzettel kopiert und aus Bettlaken Transparente gemacht, eben eine Anlaufstelle. Ich selbst war ein paar Mal da und habe mit den Leuten gesprochen.«
    »Ein gewisser Kallmeyer, Jürgen Kallmeyer.«
    »Nein, La Fleur hieß der Mann, Rene La Fleur, schnieker Typ, passte nicht dahin, konnte aber wirklich reden. Griffige Sätze, die er uns – es waren ja auch die Kollegen der anderen Blätter da – in den Block sprach.«
    »Horst Bodach, war der auch mal dabei?«
    Becker dachte einen Augenblick nach, schüttelte dann den Kopf. »Ein Sänger stand noch im Mittelpunkt, spielte Gitarre, alte Dylan-Stücke mit selbst verfassten Texten. ›Die Zeiten ändern sich im Pott‹ mit der Melodie von ›The Times They Are A-Changin’‹, dies und Ähnliches.«
    Becker summte ein paar Takte. Ich hatte allein schon mit dem Zuhören Schwierigkeiten, mir pochte das Blut in den Adern, mein Atem ging stoßweise, die Füße brannten wie Feuer. Als er am Wolfssee als nächstes Teilziel den Entenfang ins Auge fasste, hob ich die Hand. Nicht einen Schritt weiter. Ich war dem Zusammenbruch nahe. Tom Becker sah noch so frisch aus wie zu Beginn unserer Runde.
    Er hatte eben die besseren Laufschuhe.
    11.
    »Stimmt«, nickte Jürgen Kallmeyer und betrachtete die Finger seiner großen Hände. Blaue Narben waren da zu sehen, wie sie Bergleute haben, wenn sich Kohlenstaub in frischen Verletzungen abgesetzt hatte. »Rene La Fleur, so schrieben sie in den Zeitungen seinen Namen. Er stammt ja nicht von hier.«
    »Wie die Schimanskis und Kuczeras.«
    »Und die Türken. Ist ja nicht so, dass wir was gegen Fremde hätten. Überhaupt nicht! Wir sind offen für alle,

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