Der Bienenfresser
hat es Federn. Ein Vogel, ich tippe, es ist ein Vogel.‹ – ›Sieht ein bisschen müde aus‹, gab Ulli Leske seinen Senf noch dazu.«
»Ihr habt ihn also ganz schön hochgenommen?«
»Stimmt. ›So, das reicht‹, rief Laflör dann auch. ›Ich will euch mal was sagen‹, blähte er sich auf. ›Das ist, genauer gesagt das war mein bester Vogel. Und der ist nicht an Altersschwäche gestorben, o nein, der ist gestern abgeschossen worden, und zwar ganz nahe vorm Ziel; der hätte das Rennen gewonnen. Das ist‹, rief er und holte tief Luft, ›das ist Taubenmord!‹«
»Hört sich dramatisch an.«
»Nun, die Vögel sind nicht gerade billig, eine Spitzentaube kann bis zu fünfzehntausend Mark, ein Jungtier einen Tausender kosten, und allein für ein Ei von einem Spitzenpärchen aus der belgischen Janssen-Zucht muss man fünfhundert löhnen. Aber das ist ja nicht alles. Wenn man ein Tier verliert, auf das man große Hoffnungen gesetzt hat, ist das schon traurig. Deshalb versuchte ich als Vereinsvorsitzender, Laflör zu beruhigen. Ich sagte, er solle sich doch erst mal setzen und dann könnten wir über die Sache reden. Doch er wollte sich nicht setzen; nicht an einen Tisch, an dem, wie er es ausdrückte, ein Taubenmörder saß. Ziemlich hartes Wort.
Aber noch härter war, dass er unseren Kassenwart dabei anguckte, mit Augen voller Hass. Wenn da mal nicht was passiert, dachte ich mir, und deshalb habe ich Sie damals angerufen.«
Ich erinnerte mich an den Anruf, aber auch daran, dass ich die Sache als läppisch abgetan hatte. Jetzt nickte ich und fragte, wie es denn an dem Abend weitergegangen sei.
»Na ja, es wurde ganz still bei uns im Klubraum. Draußen wehte ein laues Lüftchen, aber die Stimmung im Verein war eisig. Nachdem Laflör die Tür hinter sich zugeknallt hatte, fragte ich Bodach, ob da was wäre zwischen ihm und Laflör.
Was da sein soll, hat er die Achseln gezuckt und hinzugefügt:
›Laflör ist sauer auf mich, weil er zwar viel Geld für seine Tauben ausgibt, meine aber schneller sind. Jetzt will er mir was anhängen. Der kann nicht verlieren, das ist alles.‹«
»Und die Sache mit Laflörs Frau?«, hakte ich ein.
»Ach so, ja, das hat er dann auch noch erwähnt, dass Laflör verdammt eifersüchtig sei.«
Ich dachte mir meinen Teil, ließ ihn aber weiterreden.
»Wir haben an dem Abend noch überlegt, ob wir Laflör aus dem Verein ausschließen sollen. Doch die Satzung gab nichts her; außerdem sind wir nicht nachtragend. Ein paar Wochen blieb Laflör weg, dann erschien er wieder bei den Treffen, zahlte seinen Beitrag und brachte für jeden von uns ein Funktelefon mit. War eine deutliche Versöhnungsgeste, die wir nicht ausschlagen konnten, und so durfte er dann beim nächsten Rennen wieder mitmachen. Am Wochenende fuhr ein Fahrer mit dem Taubenwagen zu allen Teilnehmern, lud die Tiere ein und brachte die Fuhre nach Norddeutschland. Wie üblich meldete er sich am Ziel und gab die Startzeit durch. Für die etwa dreihundert Kilometer rechneten wir mit knapp vier Stunden Flugzeit. Natürlich stand jeder von uns schon viel früher mit der Taubenuhr in der Hand am Schlag. Geht ja manchmal um Minuten.«
Mit tapsigen Bewegungen ging Kallmeyer zum Wandschrank und entnahm ihm einen Kasten, der einer alten Kaffeemühle nicht unähnlich war. Auf dem Rückweg stieß er gegen die Tischkante.
»Hier«, sagte er. »Sobald die Taube in den Schlag einfliegt, nimmt der Besitzer ihr die Teilnehmernummer, die mit einem Gummiring befestigt ist, vom Fuß und steckt sie in so eine Taubenuhr. Klingeling – sind Datum und Uhrzeit auf dem Papier als Abschlag zu sehen; mit den elektronischen Taubenuhren konnten wir uns noch nicht anfreunden. Wer hinterher den frühesten Aufdruck vorweisen kann, kriegt das Preisgeld.«
»Wer hatte denn an dem Tag gewonnen?«
»Horst, also Bodach, seine Jassu kam als Erste in den Stall.
Er machte sofort einen Rundruf. Feine Sache mit dem Handy!
Mich fragte er dann noch, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zu Laflörs Haus zu fahren. Das Rennen war entschieden, warum also nicht? Bevor wir losfuhren, habe ich Sie dann angerufen und endlich auch an die Strippe bekommen – den Rest kennen Sie ja: Laflör hat meinen Kumpel erschossen.«
»Nicht den ganzen Rest kenne ich. Was ist passiert, bevor ich da eintraf?«
»Haben Sie das nicht schon mal gefragt?«
»Gute Geschichten kann man auch zweimal hören, manche werden dann immer besser.«
»Ist eine traurige Geschichte – aber was
Weitere Kostenlose Bücher