Der Bienenfresser
soll’s.« Kallmeyer kratzte sich zwischen den Beinen. »Wir haben den Wagen so abgestellt, dass man uns vom Haus aus nicht sehen konnte, und geguckt, was sich an Laflörs Taubenstall tat. Nicht viel. Als nach einer halben Stunde eine Taube über dem Dach kreiste, rief Bodach: ›Das ist seine Soffi!‹ Dass er Laflörs Taube im Flug erkannte, war schon erstaunlich, aber dann hat Bodach mir das erklärt: ›Mensch, Jürgen‹, sagte er, ›die hat der doch als Jungtier von mir gekauft. Laflör wollte von meinem Spitzenweibchen unbedingt Nachwuchs und den hat er gekriegt. Verstehste?‹ Bodach rieb Daumen und Zeigefinger aneinander und grinste viel sagend. – ›Klar, dass er dafür reichlich was hinlegen musste‹, hab ich gesagt. ›Aber hör mal, Horst, warum kommt dein teurer Siegernachwuchs denn so spät bei ihm zu Hause an?‹ – ›Weil ich‹, hat er betont, ›mal zu früh nach Hause gekommen bin. Konnte gerade noch sehen, wie ein bestimmter Vereinskamerad bei mir überm Gartenzaun verschwand.‹ Das war Bodachs Antwort und die ging mir noch so durch den Kopf, während wir beobachteten, wie Laflör mit der Taubenuhr in der Hand am Schlag stand und lockte. Doch die Taube hob wieder ab und drehte eine Runde. Nachdem sie sich schließlich aufs Dach gesetzt hatte, stiefelte Laflör mit hochrotem Kopf ins Haus. Nach zwei, drei Minuten kam er wieder, mit der Flinte in der Hand. Als er auf die Taube, die immer noch auf dem Dach saß, anlegte, traten wir aus dem Gebüsch.
›He, Laflör!‹, hat Bodach gerufen. ›Wenn du meinst, dass Verlierer sterben müssen, dann schieß ruhig. Ist ja deine Taube. Aber komm hinterher nicht in den Verein, um anderen einen Taubenmord anzuhängen.‹ So, Herr Meisterdetektiv, das war der Rest. Jetzt wissen Sie’s.«
Der Bericht deckte sich fast wortwörtlich mit dem, was Kallmeyer mir beim ersten Mal erzählt hatte; normalerweise ein Zeichen, dass die Aussage stimmte.
Ich fragte Kallmeyer, was Laflör geantwortet habe.
»Stocksauer war der. ›Die Krücke von einer Taube hast du mir doch angedreht für gutes Geld‹, hat Laflör gezischt.
Mensch, war der giftig. Bodach sagte nichts, grinste nur.
Immer breiter und zufriedener, wie einer, der endlich eine alte Rechnung beglichen hat. Und das ist auch der Anblick, den ich von meinem Freund Horst Bodach im Gedächtnis behalten will. Denn kurz darauf krachte der Schuss. Und mit dem Knall verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht. Aber nicht nur das Grinsen. Die Schrotladung hat ihn, wie Sie wissen, voll am Kopf erwischt.«
Kallmeyer schluckte, sein mächtiger Körper bebte. Nachdem er sich mit dem Handrücken über die Augenwinkel gewischt hatte, sagte er stockend: »So ist es abgelaufen. Horst war auf der Stelle tot. Sie haben es ja selbst gesehen.«
Kallmeyer tat mir Leid. Aber ich konnte ihm weitere Schmerzen nicht ersparen. »Ja, so war es wohl. Aber etwas fehlt noch«, sagte ich.
12.
Ich fasste in meine Jackentasche, zog einen Umschlag hervor und legte ihn vor mir auf den Tisch. Keiner von uns sagte ein Wort, eine Minute, zwei Minuten. Ob es die ungewohnte Stille war, keine Ahnung, jedenfalls steckte Kallmeyers Frau den Kopf zur Tür herein, das Essen sei fertig. Er gab ihr einen Wink.
»Ihre Frau kann ruhig dabei sein«, sagte ich. »Vor ein paar Tagen habe ich mich nämlich bereits mit ihr unterhalten.«
Kallmeyer runzelte die Stirn, auch wenn da nicht viel zu runzeln war. Der Alkohol und die über den toten Kumpel vergossenen Tränen hatten seine Augen gerötet, aber da war noch etwas in seinem Blick. Ich musste auf der Hut sein.
»Freundchen, Sie riskieren eine Menge«, sagte er, jetzt wieder in der gewohnten bedächtigen Art. Seine Erzähllaune war verflogen.
»Wenn man die Wahrheit herausfinden will, muss man etwas riskieren«, sagte ich. Etwas, dachte ich, aber eben nicht zu viel.
Der Kerl vor mir glich einem Hochdruckkessel kurz vor dem Explodieren. Ich erzählte ihm, was ich bei meinen Recherchen in der Siedlung herausgefunden hatte: »Herr Kallmeyer, Laflör hatte auch mit Ihrer Frau ein Techtelmechtel angefangen.«
Sein Gesicht lief rot an. »Lore!«, brüllte er in Richtung der Tür.
»Nein, Ihre Frau hat mir nichts verraten. Ich weiß es von Nachbarn, die von der Sache etwas mitgekriegt haben.«
»Von was für einer Sache?«
»Dass Sie eine Latte vom Gartenzaun gebrochen haben und Laflör hinterhergerannt sind. Das war an dem Tag, als Sie sich auf der Arbeitsstelle verletzt und der Werksarzt Sie
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