Der Bienenfresser
auch für die Leute von außerhalb. Und von denen kamen damals eine Menge in unseren Verein, als wir gegen den Abriss der Siedlung protestierten, mit Hungerstreik und Mahnwachen.
Das heißt, als sich der Erfolg abzeichnete, da kamen sie: Rocksänger, Politiker und Promis – alle wollten plötzlich Kumpel sein. Unter ihnen auch Rene Laflör – von mir aus kann ich auch Rene La Flööhr sagen«, in übertriebener Geste spitzte er seinen Mund mit den wulstigen Lippen.
»Was wollte Laflör?«
»Er hielt einen Vortrag: ›Taubenzucht, die Identität einer Region‹. Ja, Identität, das war sein Wort. Einige Zeitungen druckten das. Die Reporter sprachen mehr mit ihm als mit mir, Horst Bodach oder den anderen Mitgliedern unseres Vereins.
Na ja, nach einer Weile war unsere Siedlung für die Presse kein Thema mehr. Der Kampf war vorbei, friedliche Zeiten bringen keine Schlagzeilen, stimmt’s?«
Ich nickte.
»In einige der modernisierten Häuser sind dann Künstler, Lehrer und Werbeleute eingezogen, weil viele der
Alteingesessenen die erhöhten Mieten nicht zahlen konnten.
Aber auch das war für die Presse kein Thema mehr.«
»Und Laflör?«
»Der blieb im Verein. Dass er von Tauben keine Ahnung hatte, störte uns nicht. Der glaubte am Anfang, man könne Tauben irgendwo hinschicken. Menschenskind, haben wir gesagt, Tauben fliegen immer nur zum Stall zurück. Aus, fertig! Das ist nicht viel, aber genug, um Wettflüge zu veranstalten. Kauf dir ein Zuchtpaar, sperr es ein, bis es die ersten Jungen hat. Denn dann bleibt es und danach kannst du bei uns mitmachen.«
Kallmeyer öffnete die Bierflasche, indem er den Kronkorken mit einem Schraubenzieher aufhebelte. »Prösterchen!«
»Ich bin auf Diät«, sagte ich zur Entschuldigung.
Es machte ihm nichts aus, allein zu trinken. Nach einem guten Zug fuhr er fort: »Laflör kaufte sich ein Pärchen, aber keins von unserer blaugrauen einheimischen Sorte; nein, kommt eines Tages mit zwei so Rotgehämmerten an. Hatte er in Spanien erstanden. Weil unsere Brieftauben, wie er erklärte, von den Felsentauben dort unten abstammen. Das wusste er aus einem Züchterbuch. Bücher! Was wir im Verein über Tauben wissen, haben wir als kleine Jungen unseren Vätern abgeguckt.«
»Und?«
»Zugegeben, die Rotgehämmerten waren nicht schlecht, belegten Platz zwei und drei beim ersten Rennen. Danach waren sie allerdings weg. Streunende Katzen, Gift, weiß man’s? Vielleicht sind sie auch zurück nach Spanien.
Jedenfalls hat Laflör die nächsten Zuchttiere dann bei uns gekauft.«
»Ah ja!«
Er musste meine Bemerkung, mit der ich das Gespräch in Gang halten wollte, falsch gedeutet haben, denn er wehrte ab:
»Nee, nee, aufgedrängt hat ihm die keiner. Wir sind, wie gesagt, ein toleranter Verein. Dass Laflör zu den Treffen in Anzug und Krawatte auftauchte – seine Sache. Woher er das Geld für das Haus hatte, das er etwas außerhalb baute? Uns egal! Dass er nicht regelmäßig arbeitete – na ja, das hat einige hier schon gewurmt. Vor allem diejenigen, die selbst auf Schicht mussten. Denn Laflör steht in Verdacht, mit den Frauen nachbarschaftlichen Umgang zu pflegen; nennen wir’s mal so.«
»Verstehe ich nicht ganz, Herr Kallmeyer…«
»Na, poppen, aber so auf nett. Sieht ja nicht schlecht aus, kann reden, piekfeine Klamotten, die Frauen bei uns im Verein machten schon Augen. Besonders dann, wenn bei denen zu Hause nicht mehr viel lief. Bergmannsnummer, verstehen Sie, Pimmel innen Schacht hängen und einschlafen.« Ein schiefes Grinsen offenbarte seine Art von Humor und eine Zahnlücke.
»Kennen Sie den Unterschied zwischen ‘nem Dachdecker und einem…«
»Sie hatten am Anfang was von dieser toten Taube erzählt«, versuchte ich seinen Redestrom wieder in geordnete Bahnen zu lenken, ehe es zu spät war, denn schon wieder griff Kallmeyer nach einer Flasche.
»Ich bin ein wenig abgeschweift. Zurück zu dem Abend, wo der Ärger anfing. Es war der Tag nach dem Wettflug und Laflör kam verspätet zum Vereinstreffen, hielt uns eine tote Taube unter die Nase und fragte, ob wir wüssten, was das sei.
Blöde Frage und ganz besonders blöd, sie in einem Verein zu stellen, der sich mit nichts anderem als Brieftauben beschäftigt, allerdings lebendigen. Horst Bodach, unser Kassenwart, legte seinen Bleistift zur Seite, runzelte die Stirn und sagte: ›Hm, für
‘n Känguru ist es zu klein. Was meint ihr, Leute?‹ – ›Ja, zu klein‹, ging ich auf Bodachs Spiel ein. ›Außerdem
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