Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
zu erkennen.
Aber er konnte nicht sicher sein, und so dachte er nicht weiter darüber nach, sondern würgte alle vermeintlich bewussten und rationalen Beobachtungen ab. Er wusste, dass er seinem Gehirn nicht trauen konnte.
Das Zittern setzte mit voller Wucht wieder ein, und mittlerweile bezweifelte er, dass eine weitere Dosis beruhigender Barbiturate es noch vertreiben könnte – ebenso wenig, wie eine Auffrischung mit Adderall oder Troparil in der Lage sein würde, seine abgestumpfte Wahrnehmung zu schärfen. Nichts wirktenoch real, und seufzend fand er sich damit ab, dass er sich wohl einfach daran gewöhnen musste.
Deshalb war er auch kaum überrascht, als er mit vor Schweiß und Regenwasser triefendem Haar das luftige Studio betrat und den urbanen Künstler Merlin dort zusammengesackt vorfand, wo er ihn zurückgelassen hatte, nunmehr jedoch in einem Meer von Blut.
Die Kehle war ihm aufgeschlitzt worden.
Nein. Nicht nur aufgeschlitzt, nicht nur sauber von Kieferansatz zu Kieferansatz durchtrennt, sondern geöffnet, aufgeschnitten wie ein Querschnittschaubild einer Illustration für Kinder. Der Halsbereich und die Luftröhre lagen frei, die Karotis war längst erschlafft, hing glitschig heraus, und in der Mitte des schmierigen Halsraums klaffte ein tintenschwarzes Loch. Ein Knorpelgebilde war herausgeschnitten und mitgenommen worden.
Vishuddha.
Das Halschakra.
Das Grauen bäumte sich wieder auf. Diesmal wartete Shaper darauf, zu durcheinander, um sich davor zu fürchten. Er kippte es einfach in den Morast seines ohnehin bereits blubbernden Verstandes, als kacke er direkt in eine Kloake. Einen kurzen vernunftbegabten Augenblick lang konnte er sich nicht vorstellen, wie der Mörder so schnell hierher zurückgekehrt sein und eine so knifflige Aufgabe in der Zeit erledigt haben konnte, die Shaper gebraucht hatte, um von den Docks zurückzugehen. Und da kam ihm der Gedanke, dass der Künstler es vielleicht selbst getan haben könnte. Immerhin hatte Merlin die Lippen zum Abklatsch eines Lächelns verzogen, als wäre er erleichtert – eine blutstrotzende Perversität, die noch zusätzlich zur abstoßenden Wirkung des Anblicks beitrug.
Dann jedoch sah er, dass sein eigenes Messer vom Boden verschwunden und die Vordertür geschlossen worden war. Als er die Hand hob, um sich die Stirn abzuwischen, war die Haut seiner Handfläche plötzlich geschwärzt und schälte sich … Oh Gott, ich bin tot und zerfalle, ich bin verwest und krank und …
Dann durchzuckte ihn etwas wie das Jucken eines Niesens, das sich nicht lösen wollte, und er verließ dankbar, freudig die Realität.
Kapitel 23
Er erwachte – wenn man es so bezeichnen wollte –, als er fuhr. Sein Verstand setzte mit einem Blinzeln wiederhergestellten Bewusstseins ein und grinste ungläubig über die eigene, brillante Fähigkeit, Traumata zu umschiffen.
Er hatte sich wieder im Autopilotmodus befunden; einem angenehmen Fluchtreflex, der ihm Zeit und Raum verschaffte, den Schock zu verarbeiten, sich zu beruhigen, einen Neustart einzuleiten. Gedankenlos drehte er das Lenkrad durch die stillen, nächtlich beleuchteten Straßen. Er stellte fest, dass sich seine Haut zum Glück makellos präsentierte. Sie wirkte nicht mehr vermodert oder widerwärtig. Noch bevor er sich von seinem mentalen Rückwärtssalto erholen konnte, fiel ihm auf, dass er an einer vertrauten Kneipe vorbeifuhr, die für die Nacht längst geschlossen hatte.
Die zerbrochenen Fenster, der Tisch, an dem die Schwanzgeschichte erzählt worden war, die Schwelle, vor der er eine redlich verdiente Zigarette genossen hatte. Ein Stück weiter rollte er an den Straßenrand und brütete schweigend vor sich hin, leicht verunsichert davon, dass sein Conavigator ihn aufgrund eines geheimen Bauchgefühls die gesamte Stadt von Osten nach Westen hatte durchqueren lassen.
Karls Wohnung sah leblos aus. Keine Lichter, die Vorhänge zugezogen. Dasselbe galt für alle Nachbarn. Einen Moment lang stellte sich Shaper vor, der Mann schliefe, verirrt in wahnwitzigen Träumen, dann jedoch verwarf er das Bild mit finsterer Miene.
Er schläft nicht. Wahrscheinlich ist er noch gar nicht zu Hause, der kleine Scheißer. Rennt gerade mit blutigen Handschuhen und verschwitztem Gesicht zurück.
Und mit meinem verfickten Messer in der Tasche.
Halb rechnete er damit, ein schwarz gekleidetes Schreckgespenst auf dem Weg ins Haus am Van vorbeischleichen zu sehen, und er ertappte sich dabei, eindringlich die Straße
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