Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
gewiss nicht daran, dass Shaper die vergangenen fünf Jahre das die Eier welken lassende Dasein eines Mönchs geführt hätte. Eher daran, dass er seine Kurzzeitbekanntschaften in der Regel am Ende einer mit Bier durchzechten Nacht angebaggert hatte, wenn es ihm leichtfiel, den »Ball ins Rollen« zu bringen. An etwas … Komplexerem hatte er sich seit der Katastrophe, die sein Leben verändert hatte, nicht mehr versucht, und bei jenen Erinnerungen wollte er sich auf keinen Fall Anregungen holen. Immerhin hatte diese Geschichte alles andere als gut geendet.
Mary starrte ihn nur weiter mit einem schiefen Grinsen an. »Du bist zurückgekommen.«
Ihr Telefon klingelte. Das Lächeln wurde brüchig, und etwas veränderte sich in der Luft – ein Impuls von Finsternis und Angst, der Shapers Gehirn als ledriger Schrei und flüchtiges Aufblitzen von lohfarbenem Licht durchzuckte. Mit seltsam starrer Miene hob sie den Hörer ab, bevor sie ihn sogleich wieder auf die Gabel legte, ohne den Anruf zu beantworten. »Keine Störungen«, sagte sie.
Irgendetwas , begriff Shaper, läuft hier ab .
Er räusperte sich. »Und, äh … wie war’s?«
»Was?«
»Das Treffen mit Glass. Die Beichte.«
Sie rümpfte die Nase. »Lass uns nicht darüber reden.«
Eine rußige kleine Glocke bimmelte in den hinteren Winkeln seines Hirns, aber als Mary theatralisch ihr Glas abstellte und auf ihn zukam, einen Schulterriemen abstreifte und ein laszives Lächeln geradewegs durch seine Pupillen auf seine Nüsse abfeuerte, blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken. Enthemmt von Tränen und Tequila wand sie sich sinnlich aus ihren Kleidern. Ihre Absichten wurden so unübersehbar klar, dass Shaper beinah taumelte: eine Schlange im Hort eines Drachen.
Eigentlich sollte es ihn wohl nicht überraschen, vermutete er. Sie hatte ihr gesamtes Leben damit verbracht, die fröhliche kleine Erdmutter zu spielen, ohne Anrüchigkeit, ohne Verführungskunst. Kein Wunder, dass ihr innerer Vamp die verlorene Zeit aufholen wollte.
»A-also hast du Vince kennengelernt?«, stammelte er und beobachtete, wie sie ihren Rock wie Flüssigkeit abstreifte. »Er war doch bei Glass, oder?«
Sie nickte und kam weiter auf ihn zu, streifte ihr Oberteil über den Kopf.
»Ja. Ich … ich glaube, du würdest ihn mögen. Er ist ein echter Kumpel. Und hör mal, ich wollte noch weiter mit dir über Chakren reden, weil …«
»Halt die Klappe, Dan.«
Sie küsste ihn. Mittlerweile trug sie nur noch Unterwäsche. Ihre Körperwärme drang fühlbar durch seine Kleider, und sie strich mit einer Hand zärtlich über seinen Schritt. Er stolperte erneut ein Stück zurück. Seine Beine wurden schwächer. Sein idiotisches Gehirn raunte ihm immer noch zu: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht! Dann spürte er, wie er mit dem Hintern gegen einen Tisch stieß. Einige Münzen fielen und landeten in einer wirren Konstellation auf dem Boden. In würdeloser Hast nützte er die Ablenkung, um auf die Knie zu sinken und die Unordnung zu beseitigen.
»Wie viel war es?«, krächzte er, während er über das Linoleum tastete.
Mary klang verärgert. »Keine Ahnung … ungefähr ein Fünfer. Lass es einfach.«
»Ich hab hier … vier zwanzig. Der Rest muss weggerollt sein. Ich werd mal eben …«
»Dan.«
Er schaute auf. »Hm?«
»Zieh dich aus.«
Sie fickten, hatten Sex, liebten sich – was auch immer –, jedoch nur einmal.
Qualität vor Quantität , dachte er, während er ohne Widerstand in herrlicher Wahrnehmungslosigkeit versank.
Er schlief acht Stunden lang, ohne zu träumen; eine Erfahrung, die einem geradezu religiösen Wunder gleichkam, so dass er beinah spüren konnte, wie es seine schwarze Seele mit milchiger Ruhe erfüllte. Sein Gehirn entwirrte sich wie zerfallendes Protein – und dann erwachte er zwischen dem ersten Aufflackern prickelnder Entzugserscheinungen und fand Mary eingerollt neben sich vor, die Nase an seiner Brust.
Und schlagartig wusste er es.
Schlagartig fügten sich die Scherben eines zerbrochenen Bilds zusammen wie ein paranoides Puzzle. Es hatte lediglich einer Verschnaufpause bedurft, um sie als das zu erkennen, was sie waren. Dieses unterschwellige Gefühl der Unrichtigkeit , das er zuvor empfunden hatte, die ablenkende Übertriebenheit ihrer mit dem Vorschlaghammer erfolgten Verführung, sogar das verfluchte Geld auf dem Tisch, alles lief ohne Groll oder Vorurteil auf eine einfache Schlussfolgerung hinaus.
Verlogen.
Verlogene, verlogene
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